TTIP: Nachruf aufs Chlorhühnchen / 4.02.15
Vortrag Professor Dr. Markus Krajewski
Verbraucherschutz adé und Bundestag durch geheime Schiedsgerichte ersetzt? Professor Dr. Markus Krajewski von der Universität Erlangen-Nürnberg stellte seinen Vortrag in der Universität Münster unter den Titel “TTIP: Intransparenz, Demokratieabbau, Geheimgerichte – Haben die Kritiker Recht?” und spießte gleich zu Beginn die mangelnde Transparenz der zurzeit laufenden TTIP-Verhandlungen auf – mit einem Augenzwinkern: noch nie habe er unter der Hand so viele vertrauliche, “geheime” Papiere bekommen wie jetzt zu TTIP. Hier bahne sich aktuell ein Wandel an, weg von der traditionellen Geheimdiplomatie klassischer Verhandlungen über Handelsabkommen; aus Brüssel stamme die Formulierung von den Verhandlungen, die nicht öffentlich, aber nicht geheim seien.
Gegenstand von TTIP wie auch anderer Handelsabkommen sei die Öffnung von Märkten, sowohl für das Exportland Deutschland als auch für die gesamte EU ein wichtiges Anliegen. Klassischer Inhalt sei die Beseitigung von Zollschranken, die Öffnung von Märkten für Dienstleistungen (z.B. Finanzen, Versicherungen) und die Beteiligung der Vertragspartner am öffentlichen Beschaffungswesen (Ausschreibungen). Wachsende Bedeutung habe inzwischen die Beseitigung regulatorischer Hindernisse: nationalstaatliche und EU-Normen und Verbraucherschutzrichtlinien hindern den Marktzugang für Erzeugnisse, die den Normen nicht entsprechen. Bei der Aufstellung von Normen verfolgen die TTIP-Partner unterschiedliche Strategien: verbiete ich ein Produkt nur, wenn es offensichtlich gesundheitsschädlich ist, oder erlasse ich aus dem Blickwinkel vorsorglicher Schutzmaßnahmen schon dann ein Verbot, wenn eine Gefahr nicht auszuschließen ist? Das in den Medien viel beschworene Chlorhühnchen wird nach Einschätzung von Prof. Dr. Krajewski nicht nach Europa kommen. In dem regulatorischen Kooperationsrat von TTIP werde es vor dem Erlass neuer Regeln gegenseitige Information und Beratung auf Behördenebene geben, aber kein Vetorecht; “zusätzlich zu berücksichtigende Faktoren und Akteure” gingen in Zukunft in die nationalen bzw. EU-Entscheidungsprozesse ein.
Der Investitionsschutz mit der Vereinbarung von Schiedsgerichten ist ein weiterer wesentlicher TTIP-Bestandteil. Deutschland als Erfinder von Investitionsschutzabkommen hat bisher 131 solcher Verträge abgeschlossen. In der Vergangenheit ging es eher um projektbezogene Vereinbarungen, um z.B. die Durchführung und Rentabilität eines konkreten Investitonsvorhabens abzusichern. TTIP unterscheidet sich davon, indem die Schiedsgerichtsklausel abstrakt für eine Vielzahl von unbekannten Fällen gilt – nach Einschätzung von Prof. Dr. Krajewski eine Aufgabe, die klassische Elemente einer staatlichen Gerichtsbarkeit enthält.
Zum Stichwort “Aushebelung der nationalen Parlamente bzw. des EU-Parlaments” wies Prof. Dr. Krajewski darauf hin, dass die Schiedsgerichte nur über Entschädigungen für Eingriffe nach einer Investition entscheiden und dass nur bei gleichem Klageziel (Entschädigung) der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten ausgeschlossen ist; will der Investor das Gesetz angreifen, das den Eingriff enthält, muss er sich auch unter TTIP an das zuständige nationale Gericht wenden (Beispiel: Vattenfall klagt vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Atomausstieg und fordert parallel im Schiedsgerichtsverfahren Entschädigung). Dem entspricht die Regelung in CETA, dem bereits im September 2014 ausgehandelten Freihandelsabkommen mit Kanada, das im Laufe des Jahres 2015 zur Prüfung und Ratifizierung ansteht.
Prof. Dr. Krajewski hält die grundsätzlichen Probleme des Investitionsschutzes in Freihandelsabkommen für nicht gelöst. Die Zahl der Schiedsgerichtsverfahren aufgrund von Handelsabkommen sei in den letzen Jahren stark angestiegen, beim Abschluss von TTIP sei mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Die staatliche Regulierungsautonomie würde durch TTIP eingeschränkt.
Die anschließende Diskussion arbeitete heraus, dass Schiedsgerichtsverfahren bereits jetzt öffentlicher ablaufen als die Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit, z.B. werden die Schriftsätze in Schiedsgerichtsverfahren veröffentlicht und sind per Internet einsehbar. Die Frage nach der demokratischen Legitimation stellt sich aus Sicht von Prof. Dr. Krajewski nicht, da es in den Verfahren nicht um Regelsetzung (für die die Parlamente zuständig sind) geht.
Zum Abschluss der überfüllten Veranstaltung erhielt Prof. Dr. Krajewski verdienten Beifall.
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