Morbider Charme trifft Vision / 28.05.13
Familientreffen im Hiltruper Bahnhof
Altes Hiltruper Bahnhofsgebäude: Zwischen rohen Mauern und Stahlträgern sollen Künstler auftreten und Besucher sitzen
Den Verfall von Innen besichtigen: am 28.5.2013 konnte das geneigte Publikum besichtigen, was vom alten Hiltruper Bahnhofsgebäude übrig ist. Ein ausgeweidetes Bauwerk in schlimmem Zustand; kein heiles Fenster, Spanplatten statt Fußboden, rostige Stahlträger mitten im Raum, eine baufällige Empore. Draußen Intercitys und Regionalbahnen, abends die Güterzüge.
Die Stadtteiloffensive hatte eingeladen mit der Ankündigung, ihr Projekt “Kulturbahnhof” vorzustellen. Mit Freibier.
Interessant war, wer gekommen war. Der Altersdurchschnitt lag gefühlt über 60, viele die sich aus Jugendzeiten an das alte Gebäude erinnern. Aber waren dies die Hiltruper Kulturschaffenden? Oder hatte man die bisher wohl noch unbekannten und möglicherweise doch nicht so zahlreichen Macher aus dem Stadtteil gar nicht eingeladen? Das würde vielleicht passen: Wie Pathos – aber wenig Content. Böser Spott? War es etwa umgekehrt? Sie waren eingeladen und sind (fast) alle nicht gekommen? War das dann schon die erste Abstimmung mit den Füßen?
Vorgestellt wurde tatsächlich: die Begeisterung der Akteure. Der Bezirksbürgermeister durfte nicht fehlen, und Dr. Born, mit der Hiltruper Kulturinitiative untergeschlüpft bei dem Marketingverein “Stadtteiloffensive” und sonst schon mal für ein heftiges Statement gut, schwärmte von der Ruine. Er hatte das Gebäude besichtigt, nachdem die Stadt es an den Investor Holtz verkauft hatte, und es ins Herz geschlossen. Begeisterung sprach aus den Auftritten Anderer, von morbidem Charme und Vision war die Rede, und Alle wollten eins: Spenden sammeln.
Nur Fakten zum Projekt, die gab es nicht. “Wir wollen unseren alten Bahnhof erhalten, an dem wir schon als Schüler vorbeigefahren sind” – schön, ein würdiges Engagement für Hiltrup. Und sonst? Stützen, wo Besucher sitzen sollen, wie im Hiltruper Museum. Dünne Außenwände, die den Lärm der Züge ungefiltert ins Konzert transportieren, sie sollen so bleiben (in Drensteinfurt kann man besichtigen, wie man Lärmschutz für einen alten Bahnhof baut. Das kostet.). Parkett oder sogar einen Schwingboden (?) soll es drinnen geben. Aber ein Betriebskonzept: Fehlanzeige. Kein Wort dazu, wer den Laden schmeißen soll, wer welche Veranstaltungen wie oft organisiert, wie der finanzielle Absturz ohne Zuschuss umschifft werden soll.
Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen? Das geflügelte Wort von Helmut Schmidt muss man nicht gleich bemühen. Aber im parteiübergreifenden Smalltalk blieb doch die eine oder andere Frage offen: woher sollen denn die vielen Veranstaltungen kommen? Die Hiltruper Stadthalle – ja, wir haben hier schon Räume! – sieht sehr wenig Kultur aus dem Stadtbezirk, und wollen wir die denn ganz aufgeben? Gibt es so wenig örtliche Kulturevents nur deshalb, weil die Stadthalle so öde ist, weil all die vielen Räume in Hiltrup nicht schön genug sind? Und dann die Frage nach dem Geld: wer stopft die Löcher im Businessplan (am 28.5.2013 wurde keiner präsentiert), soll das Stadttheater dann für den Hiltruper Bahnhof bluten oder etwa das Hiltruper Museum?
So war es eine gelungene Veranstaltung. Ordentlich was fürs Gemüt, eine Ladung Begeisterung. Die unangenehmen harten Fakten: großzügig umschifft.