Altenpflege: die polnische Lösung? / 4.06.13
Die Großmutter ins Heim stecken? Der Familienrat tagte kurz vor ihrem 91. Geburtstag und war sich recht bald einig: keins der vier Kinder konnte sie pflegen. Lange war es gut gegangen mit Pflegedienst und weiteren Hilfen. Nun schritt die Demenz voran, rund um die Uhr musste jemand her, zu quälend waren die Ängste der alten Dame in der Nacht.
Der Tipp kam vom Pflegedienst. Ja, da gebe es jemanden – eigentlich dürften sie ja gar keine Reklame dafür machen -, eine Vermittlerin für polnische Pflegekräfte. Die Familie hatte schon viel Gutes gehört, den Versuch war es wert.
Versuch und Irrtum, so könnte man die folgenden Monate beschreiben. Im Januar kam Aleksandra. 56 Jahre alt, stämmig, laut Personalbogen gelernte Köchin, schlug sie morgens um 7h auf mit einem gewaltigen Koffer. Man traf sich zum Kaffee in Großmutters Küche, und Aleksandra packte aus: große Vorräte Krakauer, und eine große Plastiktüte voller Tütensuppen. Aleksandra hielt es mit der einfachen Lebensart, die Hausarbeit wurde auf das Unumgängliche reduziert, die Essensreste flogen in den Garten, das Geschirr klebte im Schrank. Der Staubsauger lief nur, wenn die Familie zu Besuch kam, Kleidung wurde in der Waschmaschine geschrumpft, nie reichte das Wirtschaftsgeld – es ging einfach nicht, Aleksandra musste nach drei Monaten gehen. Dann kam Krystyna (ohne Personalbogen, ohne jede Vorab-Information). Krystyna war super, souverän im Umgang mit der Großmutter und ihrem Haushalt, hoch geschätzt von der Familie. Ihr gefiel es nicht bei der Großmutter, nach sechs Wochen war sie weg, sehr schade. Anja kam an ihrer Stelle, ließ sich zwei Tage lang von Krystyna und der Familie einweisen, am dritten Tag war sie weg. Ohne Vorwarnung, einfach so. Der Familie erzählte sie am Telefon, ihre Mutter sei krank; der polnischen Betreuerin vor Ort erzählte sie, das Zimmer sei nicht gut.
Da steht die Familie nach 5 Monaten Versuch und Irrtum. Hals über Kopf ist sie zur Großmutter gefahren und versorgt sie. Die Mär von der tollen polnischen Hilfe, dies Lied mag die Familie nicht mehr singen. Sie wartet jetzt: die polnische Betreuerin vor Ort ist nicht lückenlos erreichbar, sie preist Aleksandra, will sich um Ersatz kümmern und hat so etwas angeblich noch nie erlebt; aber nach dem Krisentreffen sind vier Tage ohne Ersatz vergangen.
Google liefert allerlei Adressen, zwei davon testet die Familie jetzt. Eine Firma funktioniert nach demselben Muster wie die Vermittlerin von Aleksandra, Krystyna und Anja. Eine Polin, die sich ohne jede Pflegeausbildung in Deutschland mit einer Vermittlungsagentur niedergelassen hat. Sie wirbt mit der Zertifizierung nach DIN 9001 – nach dem ersten Kontakt folgte die Email, sie sei nun vier Tage nicht im Büro. Kein gutes Omen für die Betreuung eines alten Menschen, der sich selbst nicht helfen kann. Die andere Firma mit deutschen Frontleuten reagierte schnell und angenehm nach Ausfüllen des obligatorischen Fragebogens und versprach sich schnell zu kümmern, das Ergebnis bleibt abzuwarten.
So bleibt es spannend: wird es gelingen, die alte Dame in ihrem Haus zu halten, in dem sie 65 Jahre gelebt hat? Oder müssen wir sie doch aus ihrem geliebten Garten herausreißen? Die Patentlösung gibt es wohl nicht, nur eine große Ernüchterung.
PS: Theresa kommt heute Abend – wir wissen nichts über sie. Kein Bild, keine Angaben zur Person. Die Vermittlerin, die die ersten drei Hilfen organisiert hat, hat sie telefonisch angekündigt. Neues Spiel, neues Glück – also wenn ich Ihnen raten soll: wenn Sie mit dem Gedanken spielen, eine polnische Hilfe zu engagieren, dann schmeißen Sie gleich alle Agenturen raus, die Ihnen keine Wahl lassen. Die sind nicht erste Wahl.
Morbider Charme trifft Vision Strässer: "Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft durch Schwarz-Gelb erschwert Integration."