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Vorratsdatenspeicherung: vertretbar und unverzichtbar? / 27.01.12

Rechtsgutachten bezweifelt Notwendigkeit

„Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht“: es kommt nicht oft vor, dass so ein Wortungetüm so viel Wirbel verursacht. Das Freiburger Institut hat im Auftrag der Bundesjustizministerin ein Gutachten vorgelegt, jetzt wird in den Medien berichtet.

Nun zeichnen sich Gutachten häufig mehr durch ihr Gewicht in Kilo Papier aus als durch ihre Wirkung, was ist also so brisant daran?

Die Antwort ist einfach: es geht um den Kernbereich der bürgerlichen Freiheit. Der freie Bürger hat ein Recht darauf, dass ihm nicht nachspioniert wird und dass nicht heimlich Akten und Dateien über ihn angelegt werden. Ausnahmen sind nur dann zulässig, wenn es zum Schutz höherwertiger Güter unabweisbar nötig ist.

Ein Aspekt dieses Bürgerrechts ist, dass Internet-Anbieter wie Facebook und Google ihre Nutzer klar und unmissverständlich um Erlaubnis bitten müssen, bevor sie Daten sammeln, verarbeiten, an Dritte verkaufen usw. Darum geht es, wenn die EU verbindliche Datenschutzregeln einführen will.

Genauso wichtig ist aber der zweite Aspekt, den das Gutachten des Freiburger Instituts behandelt: auch der Staat muss sich zurückhalten, wenn er Informationen über die Bürger sammeln will. Mit wem ich telefoniere, wem ich eine SMS schicke, welche Internetseiten ich besuche, das gehört alles zum geschützten „Intimbereich“; das geht den Staat genauso wenig an wie die Frage, welche Bücher ich lese und was ich denke, und auf Vorrat, also ohne jeden konkreten Verdacht schwerster Verbrechen gehören all diese Daten nicht in irgendwelche Speicher. Wenn der Staat – und damit ist hier neben der EU die Bundesrepublik Deutschland gemeint – darauf zugreifen will, dann müssen mindestens zwei Voraussetzungen erfüllt sein:

Um in den Kernbereich meiner Bürgerrechte einzugreifen, muss es erstens einen ganz wichtigen Grund geben. Leib oder Leben von Mitbürgern müssen gefährdet sein, wenn der Staat diese Informationen über mich nicht erhält.

Und zweitens muss dieser schwere Eingriff in meine Rechte geeignet sein, diese Gefahren abzuwehren. Hier setzt das Gutachten an: die Freiburger Wissenschaftler stellen nämlich in Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung überhaupt nennenswerte Vorteile für die Verhinderung oder Aufklärung schwerster Verbrechen bringt. Diese Frage muss bei allen Eingriffen des Staates in die Privatsphäre der Bürger immer wieder gestellt werden: bringt die Vielzahl von Lauschangriffen einen Gewinn, der den Verlust an Bürgerrechten aufwiegt? Solange dieser Nachweis nicht geführt ist, gilt ganz kategorisch: Hände weg!

Es gibt genug unbescholtene Bürger, die in all solcher Datensammelei kein Ärgernis sehen. Viele sagen: sollen sie doch, ich habe nichts zu verbergen; viele haben nichts dabei, ihr Privatleben digital zu veröffentlichen. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass so viel „Offenheit“ dann gefälligst für alle gelten soll: Bürgerrechte sind auch Abwehrrechte; niemandem darf gegen seinen Willen Öffentlichkeit aufgezwungen werden.

Aktuell besteht dringender Handlungsbedarf: die EU-Richtlinie muss endlich überarbeitet werden, und der Bundestag muss die Vorratsdatenspeicherung auf das unabdingbare Maß beschränken und sich für das Quick-Freeze-Modell entscheiden: Speicherung von Daten nur in den Fällen, in denen der konkrete Verdacht einer bestimmten, schwerwiegenden Straftat besteht.

Zum Weiterlesen:

Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen hat im Herbst 2011 die verfassungsrechtlichen Haken und Ösen beschrieben („Die Vorteile der Vorratsdatenspeicherung bleiben diffus, Nachteile und Gefahren liegen auf der Hand, die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Hürden sind hoch.“) und sich nachdrücklich gegen eine Vorratsdatenspeicherung ohne konkreten Anlass ausgesprochen; das Papier können Sie hier nachlesen.

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