Kommunale Neugliederung 1975 / 21.02.10
Am 1.1.1975 verlor die Gemeinde Hiltrup ihre politische Selbständigkeit und wurde in die Großstadt Münster eingemeindet. Diese Eingemeindung war für die meisten Hiltruper schmerzlich. Doch musste es auch als neuer münsterscher Stadtteil politisch mit Hiltrup weitergehen. Für die Hiltruper Interessen traten nun die gewählten Ratsherren im Rat der Stadt Münster und die Bezirksvertreter in der Bezirksvertretung Hiltrup ein. Auch die SPD musste sich mit dieser neuen Situation erst vertraut machen. Der Ortsverein, der ab 1973 von dem Polizeibeamten
Theodor Dopheide geführt wurde, koordinierte die Arbeit seiner Mandatsträger im Rat und in der Bezirksvertretung durch die Gründung eines kommunalpolitischen Arbeitskreises.
Der gesellschaftliche Aufbruch der 70er Jahre mit Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ und dem Protest gegen einen städtischen Konformismus, gegen die „Unwirtlichkeit der Städte“ hatte eine Entsprechung in dem Imperativ „Kultur für Alle“, der Forderung nach der potentiellen Teilhabe Aller am hochkulturellen Leben. Eine der bekanntesten Leitfiguren war der damalige Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann. Diese Diskussion erreichte auch Münster: Am 31.3.1976 stimmte die SPD-Ratsfraktion gegen den Bühnenhaushalt, weil ihre Forderung abgelehnt wurde, mit einer anderen Theaterarbeit alle Bevölkerungsschichten anzusprechen (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 8).
Das Jahr 1976 war geprägt durch eine lebhafte Debatte über die Entwicklung Hiltrups.
In den Baugebieten bestand ein Angebot an Wohnbauflächen für insgesamt etwa 2.400 Wohneinheiten für Einfamilienhäuser.
Die noch schnell vor der kommunalen Neugliederung begonnene Stadthallen-Baustelle lag still. Die SPD-Ratsherren aus dem Bezirk Hiltrup Karl-Heinz Winter, Rainer Bannert und Theodor Dopheide hatten ein Jugendzentrum, eine Altenbegegnungsstätte, eine Zweigstelle der Stadtbücherei und der Volkshochschule gefordert; die Bezirksvertretung Hiltrup hatte einstimmig ein Nutzungskonzept beschlossen, das die Einrichtung eines Jugendzentrums, einer Zweigstelle der Stadtbücherei und der Volkshochschule in dem Bau vorsah; die CDU-Mehrheit im Rat hatte sich darüber hinweggesetzt und nur den Bau eines Restaurants mit einem Saal für 1.000 Personen beschlossen, Einrichtungs- sowie Folgekosten der Volkshochschule sollten erst noch ermittelt werden(„… Volkshochschule, da deren Einrichtungs- sowie Folgekosten nach dem Beschluß [des Rates] erst noch ermittelt werden sollen, was zweifellos bedeutet, daß sie über die Kostenfrage auch noch aus der Halle verdrängt werden soll…“; Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 8).
Infostand auf der Marktallee mit MdB Walkhoff und den SPD-Ratsherren Rainer Bannert und Theodor Dopheide (Juni 1976; aus: Hiltrup heute und morgen Nr. 9, Juli 1976)
1976 beriet die Stadt Münster über die Planungen zum Neubau des Karstadt-Kaufhauses und zur Erweiterung des Horten-Kaufhauses in der City. Die Hiltruper SPD sah darin eine Gefahr für die Entwicklung des Hiltruper Einzelhandels; die Bezirksvertretung Hiltrup beschloss auf Antrag der SPD-Fraktion eine Kaufhausplanung für Hiltrup: die Verwaltung wurde beauftragt, in Verhandlungen mit den Kaufhauskonzernen die Ansiedlung eines Kleinkaufhauses mit ca. 3.000m² Verkaufsfläche – heute: Kaufhaus Burgholz – in Hiltrup sicherzustellen (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 9).
Im Sommer 1976 wurden die Pläne für eine neue Straßenbrücke über Eisenbahn und Kanal im Planfeststellungsverfahren veröffentlicht. Der Landschaftsverband als zunächst zuständiger Planungsträger hatte ein vierspuriges Brückenbauwerk vorgesehen (1978 ging das Projekt in die Hände der Stadt Münster über).
Planung der neuen Kanalbrücke (1976; aus: Hiltrup heute und morgen Nr. 9, Juli 1976)
Die SPD begrüßte grundsätzlich das Neubauprojekt, da die Eisenbahnschranken und die alte Prinzbrücke zum Verkehrshindernis geworden waren. Sie wandte sich aber dagegen, mit den gut einen Kilometer langen, hohen Brückenrampen tief in die alte Bausubstanz der Marktallee einzugreifen, und forderte eine Verkehrsentlastung der Marktallee. Ziel sollte es sein, die Ortsmitte als Geschäftszentrum zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die SPD schlug deshalb vor, die Straße Osttor zwischen Kanal und Bahn Richtung Trauttmansdorffstraße zu verlängern und die Marktallee daran anzubinden (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 9).
Planung der neuen Kanalbrücke: Alternativvorschlag der Hiltruper SPD (1976; aus: Hiltrup heute und morgen Nr. 9, Juli 1976)
Im Herbst 1976 beschloss die CDU-Mehrheit im Rat den Bebauungsplan „Zum Roten Berge/Sanddornweg/Am Sonnenborn“ und ermöglichte damit die Erweiterung des BASF-Werks und der Polizeiführungsakademie. Sie setzte sich dabei über die Bedenken von Gewerbeaufsichtsamt, Stadtverwaltung und SPD hinweg: da der durch einen Erlass des Sozialministeriums geforderte Mindestabstand von 300 m zur Wohnbebauung nicht eingehalten werden konnte, hatten diese gefordert, eine Schutzzone mit Lärmbegrenzung einzurichten (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 10).
Die Hiltruper SPD befasste sich in diesen Jahren nicht nur mit den lokalen Themen. Zu bundespolitischen Themen beschloss sie Resolutionen und schickte sie an den Bundesvorstand der SPD, an die Bundesminister der SPD und die SPD-Bundestagsfraktion. Z.B. appellierte sie am 9.12.1976 an die SPD-Minister in der Bundesregierung, die am 1.7.1977 anstehende Rentenerhöhung nicht zu verschieben („Wir sehen uns nicht in der Lage, den überall erhobenen Vorwurf des „Betrugs am Wähler“ zu entkräften, wenn die Verschiebung tatsächlich erfolgt.“); mit einem weiteren Schreiben vom 23.1.1977 an den Bundesvorstand kritisierte sie das Verhalten der SPD bei diesem Thema: „… wissen wir nicht, wie wir die augenblickliche Austrittswelle aufhalten können, die zweifellos insbesondere durch die recht merkwürdigen Verlautbarungen zur Rentensanierung im Dezember 1976 ausgelöst wurden, …“.
Die Verkehrssituation auf der Marktallee blieb ein Dauerthema. Im Februar 1977 beantragte die SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung, in den Nebenstraßen der Marktallee ein Einbahnstraßensystem einzuführen (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 10).
Ein weiteres Dauerthema (bis heute!) blieb die Schulpolitik. Die SPD Hiltrup warb 1977 für die Kooperative Schule mit schulformunabhängiger Orientierungsstufe (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 10).
Die Hiltruper Stadthalle stand Ende 1977 immer noch im Rohbau, der Bau ruhte inzwischen seit 2 ½ Jahren. Die Raumnot der Hiltruper Schulen war unerträglich gestiegen. Die SPD setzte sich mit Ratsantrag vom 12.10.1977 „für eine soziale Nutzung der [Hiltruper Stadt-]Halle“ und für “die Nutzung der Halle für die Sekundarstufe I (Haupt- und Realschule und Gymnasium)“ ein. Innerhalb der CDU hatte es lange Streit über das Nutzungskonzept der Stadthalle gegeben, die Hiltruper CDU-Vertreter Dr. Quante und Dr. Tölle hatten zunächst einen 1.000-Personen-Saal mit Restaurant angekündigt und eine schulische Nutzung ausgeschlossen; die Ratsfraktion der CDU beschloss schließlich einen Kompromiss: kleinerer Saal und Gaststätte, Volkshochschule, Erziehungsberatungsstelle und 9 Klassenräume. Die SPD Hiltrup kritisierte die unvollständige Ratsvorlage und warnte vor Mehrkosten (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 12). (Die Stadthalle wurde erst 1980 fertiggestellt.)
In der SPD wich die Aufbruchsstimmung der Jahre 1969/1972. Im Januar 1978 beklagte der Vorsitzende der SPD Hiltrup in der ersten Ausgabe des neuen Mitgliederbriefs „Anker“ (eingestellt 1992): „… ist leider wieder über 6 Austritte aus der SPD zu berichten, dagegen nur über 1 Neuaufnahme. … Tatsache ist, … daß wir uns zur Zeit in einer Phase befinden, während der viele die Partei verlassen, die in einer Zeit der Hochstimmung eingetreten waren, und die nun irgendwie enttäuscht sind. Dem einen ist die Partei zu ‚rechts‘, dem anderen zu ‚links‘, dem einen gibt es zu viele Reformen, dem anderen zu wenig. … Weder gegen die Austritte noch für die Eintritte gibt es ein Patentrezept. Ich weiß jedenfalls keines, …““ (Quelle: “Anker Nr. 1”).
Allerdings: entgegen diesem Stoßseufzer hatte die Hiltruper SPD in den Jahren 1975 bis 1980 konstant zwischen 120 und 130 Mitglieder, davon zunächst die Hälfte Jusos (SPD-Mitglieder unter 36 Jahren); bis 1980 sank ihr Anteil auf ein gutes Drittel (für die Jahre davor und für die folgenden Jahre 1981 und 1982 sind keine Daten mehr verfügbar).
Im Januar 1978 begann die mehrjährige heiße Diskussionen über ein Straßenbauprojekt: das Projekt einer A43 nach Gütersloh / Bielefeld. Verschiedene Trassen waren im Gespräch, die eventuell im Flächennutzungsplan der Stadt Münster für diesen Zweck freigehalten werden sollten: eine Nordtrasse zwischen Münster und Hiltrup in Höhe Merkureck, eine Südtrasse südlich von Hiltrup. Die Hiltruper CDU lehnte die Nordtrasse ab, die Hiltruper SPD lehnte Nord- und Südtrasse ab (Quelle: “Anker Nr. 1”).
In der inzwischen mehrere Jahre dauernden Diskussion um die Einrichtung einer Stadtteilbücherei in Hiltrup favorisierte die CDU eine Kooperationslösung mit der katholischen Pfarrgemeinde St. Clemens. Die SPD Hiltrup sprach sich dagegen aus, die kath. Bücherei St. Clemens zur Stadtteilbücherei zu machen und aus dem städt. Haushalt zu fördern: „… späten Fortsetzung des Kulturkampfes der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts … Dafür gibt es aber keinerlei Einfluss der Stadt z.B. auf die Auswahl der Bücher, die jetzt durch den Filter der „Richtlinien für kath. Büchereien“ gehen muss. Dazu passt der Ausspruch eines CDU-Bezirksvertreters, daß hier „die Bücher noch sauber“ seien…““ (Quelle: “Anker Nr. 2”). Am 19.4.1978 beschloss die CDU/FDP-Mehrheit im Rat, die Funktionen der städtischen Bücherei im Stadtbezirk Hiltrup der Bücherei St. Clemens zu übertragen. [Danach geschah mehr als 2 Jahre nichts, die Verhandlungen mit der Gemeinde St. Clemens stockten.] (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 23).
Öffentlichkeitsarbeit als Gegengewicht zu konservativen Printmedien in Münster war ein Dauerthema. Im Mai 1978 beschloss eine Kommission des SPD-Unterbezirks Münster: „… Der Unterbezirk gibt eine Innenstadtzeitung, die MP [Münsterpresse], heraus. … Für die Stadtteile Hiltrup, Amelsbüren, Albachten, Roxel, Nienberge, Gelmer-Handorf, Wolbeck, Angelmodde, Gremmendorf unterstützt der UB die Herausgabe von Stadtteilzeitungen der Ortsvereine. …“ (Quelle: “Anker Nr. 3”).
Die SPD besichtig im März 1978 das alte Paterkloster, um sich ein Bild von den Nutzungsmöglichkeiten zu machen (v.l.: NN, Dr. Dietrich Thränhardt, Theodor Dopheide, NN, Rainer BAnnert, Karl-Heinz Winter, Hans-Jörg Weiße, Dr. Michael Crone)
Ein Hiltruper Dauerthema blieb auch die Frage, wie viel alte Bausubstanz noch abgerissen werden sollte. Das alte Paterkloster an der Westfalenstraße war in der Diskussion; die CDU-Mehrheit in der Bezirksvertretung nannte das Gebäude „häßlich“ und „kulturhistorisch wertlos“ (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 13) und beschloss im Mai 1978 „unter Mißbrauch der Geschäftsordnung“ den Abriss des alten Klosters, „… ohne die von der SPD beantragte und zur Zeit von der Verwaltung durchgeführte Untersuchung der Nutzungsmöglichkeiten des alten Klosters abzuwarten, …“ (Quelle: “Anker Nr. 3”).
Die Hiltruper SPD dagegen wies darauf hin, dass der Landeskonservator gerade prüfte, ob das alte Paterkloster unter Denkmalschutz gestellt werden sollte; sie nahm Kontakt mit der Landesregierung auf und forderte im Juni 1978, im alten Paterkloster Jugendzentrum, Altenbegegnungsstätte, Stadtbücherei und Volkshochschule unterzubringen (da diese Einrichtungen wegen der CDU-Fehlplanung der Stadthalle dort nicht unterkamen) (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 13).
Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der Hiltruper SPD war die praktische Politik für Kinder. So forderte die SPD Hiltrup um 1978 einen Kinderspielplatz für die Kinder der Langestraße (das Projekt wurde jahrelang als zu teuer abgelehnt; der Spielplatz wurde erst im Kommunalwahljahr 1989 in der Nähe des Regenrückhaltebeckens realisiert; Quelle: Hiltrup heute und morgen Juni 1989 ); im Herbst 1978 forderte sie weitere Kinderspielplätze, die von Bewohnern des Musikerviertels abgelehnt wurden (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 14).
Kompromisslos war (und ist) die Haltung der Hiltruper SPD gegenüber dem Rechtsextremismus. Im Oktober 1978 kritisierte sie die Aufnahme eines Grußwortes des Nazi-Großadmirals und Kriegsverbrechers Dönitz in eine Festschrift der Hiltruper Marinekameradschaft U21 Otto Hersing (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 14).
Im Kampf um die Erhaltung des Paterklosters veröffentlichte die SPD Hiltrup im Oktober / Dezember 1978 die Geschichte des Paterklosters und forderte seinen Erhalt als Kulturdenkmal (Quelle: Hiltrup heute und morgen Nr. 14 und Hiltrup heute und morgen Nr. 15).