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Aufbau nach dem 2. Weltkrieg / 21.02.10

Das Hiltruper Hoesch-Röhrenwerk war fast komplett zerstört worden, doch bereits 1946 konnte mit 70 bis 80 Arbeitern die Produktion wieder aufgenommen werden. Der eigentliche Wiederaufbau des Werkes begann 1948 nach der Währungsreform.

Hiltrup wuchs rasch, Flüchtlinge fanden hier eine neue Heimat und die Industrie florierte. 1950 hatte Hiltrup bereits 7.348 Einwohner (davon über 700 Flüchtlinge), 1956 beschäftigte das Röhrenwerk schon rund 400 Mitarbeiter.

1960 wohnten in Hiltrup schon 9.300 Einwohner. 1960 wurde das Baugebiet an der Lange Straße erweitert, die Glasuritwerke bauten hier erste Wohnblocks für Werksangehörige; weitere Neubaugebiete folgten.

Mit den Steuereinnahmen von Glasurit und Röhrenwerk finanzierte die Gemeinde den Aufbau von Infrastruktur. Wasserleitung, Kanalisation, Straßenbau und Müllabfuhr standen 1960 auf dem Programm, ein „Leitplan“ zur Entwicklung der Gemeinde wurde erarbeitet. Im Erläuterungsbericht zum ersten Flächennutzungsplan für Hiltrup von 1962 hieß es: „Die Gemeinde, die in den letzten Jahrzehnten aus kleinen dörflichen Verhältnissen herausgewachsen ist, hat heute fast 10.000 Einwohner. Mit diesem Wachstum haben die gemeindlichen Pläne und Einrichtungen nicht Schritt gehalten. Da auch weiterhin damit zu rechnen ist, daß ihre Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, steht die Gemeinde vor der Notwendigkeit, Bauleitpläne aufzustellen.“

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Aus einem Zeitungsartikel „Hiltrup in der Gärung“ vom 2.4.1960.

Die Gemeinde war reich. „Hiltrup ist und bleibt die Gemeinde der idealen Möglichkeiten“ jubelte 1960 der Zeitungsbericht „Gemeinde in der Gärung“. In dem Bericht schwingen aber auch Töne aus vergangenen Zeiten mit: als kennzeichnendes Merkmal Hiltrups wird genannt „… ein volksverbindendes Gemeinsamkeits-Bewußtsein. Die Betriebsgemeinschaft setzt sich fort in den idealen Werkswohngemeinschaften. … So kann man Hiltrup in seiner Entwicklung auch Gemeinde der Betriebsfamilien nennen, …“.

Der Gemeinderat Hiltrup bei der Arbeit (1960)

Bürgermeister wurde 1960 der Mühlenbesitzer Ludger Wentrup, CDU-Vorsitzender war Rektor Theo Harbaum, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Gemeinderat war August Harling. Die CDU-Fraktion dominierte den Gemeinderat.

Hiltrup sollte „Stadtlandschaft im Grünen“ werden. Mit dem Leitplan sollte als Hauptaufgabe ein Zentrum geschaffen werden, nachdem “sich die Bautätigkeit über das ganze Gemeindegebiet erstreckt“ hatte; „Ein eigentlicher Mittelpunkt wie in alten Kreisstädten mit der konzentrischen Häufung von Geschäften hat sich nicht gebildet und wird auch derartig nicht geschehen, weil die beiden Reihenstraßen [heute: Marktallee und Westfalenstraße] gleichzeitig zu den Hauptgeschäftsstraßen geworden sind.“

Der Zeitungsartikel „Leistungsfähiger Einzelhandel“ von 1960 lobt die Hiltruper Einzelhandelsgeschäfte, die aus den alten Handwerksbetrieben hervorgegangen seien; „Ein Supermarkt als neue Manie und Magie braucht hier nicht zu sein“, durch die Ausbreitung des Markenartikels gebe es keinen Unterschied in der Qualität der Ware und auch kein Preisgefälle mehr – man wollte sich abschotten.

Man diskutierte die Verbreiterung der Bahnhofstraße (heute: Marktallee), die Anlieger mussten dafür ihre Vorgärten opfern; hier sollten „Hochhäuser“ mit bis zu sechs Geschossen entstehen. („Die Grundstückseigentümer an der Bahnhofstraße müssen im Interesse des Gesamtwohls der Gemeinde auch zu Opfern bereit sein“ heißt es im Zeitungsbericht vom 2.4.1960.

1961 war Hiltrup bereits auf 10.137 Einwohner gewachsen. 1963 stand im Röhrenwerk die nächste große Werkserweiterung an mit einer neuen Fertigungshalle.

Seit 1952 war die Hebamme Marga Niedenführ für die SPD im Gemeinderat, bis 1969 war sie Fraktionsvorsitzende.

Marga Niedenführ beim Richtfest für die Erweiterung der Marienschule (1963)

Marga Niedenführ (Mitte) beim Richtfest für die Erweiterung der Marienschule 1963 (v.l.: Amtsbaurat Plagemann, NN, Heinrich Schütte, NN, Pfarrer Bernhard Ensink, Wilhelm Pfeifer, Marga Niedenführ, NN)

Marga Niedenführ verfolgte eine Konsens-Politik mit der CDU. Man kannte sich … und fuhr im September 1964 kurz vor der Kommunalwahl schnell noch auf „Besichtigungsfahrt“.

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Stadtbesichtigung in Goslar: v.l. NN, Hermann Becker, Wilhelm Pfeifer, Theo Harbaum, Franz Lübcke, Heinrich Schütte, Marga Niedenführ (SPD), Karl Schorlemer (SPD)

Politik wurde am Abend beim Bier gemacht:

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v.l. Marga Niedenführ, Karl Georges, Heinrich Schütte

Der spätere Nachfolger Wentrups als Bürgermeister, Rechtsanwalt Dr. Franz Tölle, war mit von der Partie. Bier und Zigarre, man gab sich selbstbewusst.

7.9.1964 v.l. Dr. Franz Tölle, Theo Harbaum, Amtsbaurat Plagemann

v.l.: Dr. Franz Tölle, Theo Harbaum und Amtsbaurat Plagemann

Im 1964 gewählten Gemeinderat saß neben CDU und SPD auch ein Vertreter der Christlichen Volkspartei (Heinrich Schwöppe). Bürgermeister wurde erneut Ludger Wentrup (mit 23 von 25 Stimmen), 1. Stellvertreterin Marga Niedenführ (mit 16 von 25 Stimmen) und 2. Stellvertreter Dr. Franz Tölle (CDU, 15 Stimmen).

Oktober 1964: Bürgermeister Wentrup gratuliert seiner 1. Stellvertreterin Marga Niedenführ (SPD) zur Wahl

Oktober 1964: Bürgermeister Ludger Wentrup gratuliert seiner 1. Stellvertreterin Marga Niedenführ zur Wahl

1966 übernahm die SPD die Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen. Im selben Jahr führten Willy Brandt und Herbert Wehner die SPD auf Bundesebene in die Regierungsverantwortung (zunächst im Rahmen einer großen Koalition mit der CDU, 1969 in einer sozial-liberalen Koalition mit der FDP). In den meisten Großstädten der Bundesrepublik gewann die SPD in den 1950er und 1960er Jahren das Vertrauen der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in der Kommunalpolitik.

1966 verlegte die Hoesch AG das Röhrenwerk nach Hamm, Hiltrup verlor rund 400 Arbeitsplätze. (Zur Entwicklung des Werksgeländes an der Nobelstraße 4 im Zeitraum zwischen 1904 und 1970 siehe auch Dominik Loroch, Die industrielle Entwicklung Hiltrups, 2008.)

Auf dem Gelände an der Nobelstraße zwischen Eisenbahn und Kanal eröffnete 1968 die Basalan Isolierwolle GmbH ein Werk. Basalan verschmutzte die Luft in unzumutbarem Maß (Quelle: Bericht im “Hiltruper Anzeiger Nr. 6”:http://www.spd-hiltrup.de/index.php?s=file_download&id=146); laut mündlichem Bericht von Zeitzeugen fielen wegen der in die Luft abgegebenen Schadstoffe Passanten auf der Straße um. Basalan (heute: DEUTSCHE ROCKWOOL Mineralwoll GmbH & Co. OHG) musste später den Abluftkamin erhöhen und Filteranlagen einbauen, Umweltschutz war ein Thema geworden.

Hiltrup wuchs währenddessen unaufhörlich weiter: 1970 wohnten hier schon 14.663 Einwohner.

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