Atom RSS

„Die spinnen, die Römer“ – wirklich? / 22.11.08

In Italien ist schon die Rede von der Rückkehr eines autoritären Regimes. In der Hauptstadt Rom gewinnt der Kandidat der ehemals neofaschistischen Allianza Nazionale die Wahl zum Bürgermeister. Die Nachrichten über Übergriffe auf Arbeitsmigranten, aber auch auf Menschen mit anderer Hautfarbe mehren sich.

Wir fragen, was ist los in Italien?

Prof. Dr. Karin Priester, bis zum Februar 2007 Lehrstuhlinhaberin an der Universität Münster, hat die Antwort. Das “Europa-Gespräche im Museum” der SPD Münster am 21.11.2008 bot Gelegenheit, sich näher zu informieren:

Das italienische Wahlrecht hat zu einer heillosen Vielfalt geführt: 30 Parteien gruppieren sich in kontinuierlich wechselnden Blöcken. Die Linke ist in sich zersplittert. Der staatliche Sektor (Verwaltung, öffentliche Dienstleister) war absolut überdimensioniert und wird geschrumpft.

Nach jahrzehntelanger Dominanz der Democrazia Christiana (der CDU vergleichbar), die als großer Block in einem eher dualen System einer großen kommunistischen Partei gegenüberstand, war ein Abnutzungseffekt eingetreten. Die DC versank in einem Korruptionsstrudel und riss die sozialistische Partei PS mit, die sich gerade als neue Kraft etablierte, gesponsert von Berlusconi!

Dieser Zusammenbruch des gesamten Parteiensystems hinterließ ein Vakuum, das Berlusconi füllte. Er gründete als Medienprodukt die Forza Italia und wurde 1994 erstmals für 7 Monate Regierungschef. Berlusconi war ursprünglich als Bauunternehmer gestartet, wurde dann Medientycoon und attackierte systematisch die Justiz, die ihn wegen Bestechung im Visier hatte.

Nach der zweiten Regierungszeit Berlusconis 2001 – 2006 hielt sich sein Nachfolger Prodi mit einem Block von neun Parteien aller politischen Farben nur zwei Jahre.

Prodi scheiterte mit einem Reformprogramm: er wollte die chronische Krise beenden und sparte, um die europaweit konkurrenzlos hohe Verschuldung Italiens abzubauen; die Löhne sanken, die Preise stiegen, er erhöhte das Renteneintrittsalter von 57 auf 61 Jahre. Bei den schlecht bezahlten Arbeitern hinterließ dies Programm nur Wut und Empörung.
Auf der Linken bot sich nach Prodis Scheitern keine Alternative, und die rechte Lega Nord erklärte sich zur Arbeiterpartei.

Italien fand sich in der Krise bei niedrigen Löhnen und niedriger Produktivität. Berlusconi wurde in dieser Situation wahrgenommen und gewählt als effizienter Unternehmensführer – „die spinnen, die Römer“? Die Ineffizienz des Parteiensystems hatte zu Politikverdrossenheit geführt. Das Land war darüberhinaus mit dem Immigrationsproblem illegaler Sinti und Roma vor allem aus Rumänien konfrontiert, und Berlusconi versprach Sicherheit.

Jetzt spart Berlusconi rigide, und zwar vor allem im Bildungsbereich durch Abbau von Lehrerstellen. Er regiert überwiegend mit Notverordnungen an einem Parlament vorbei, das mit 1.000 Abgeordneten und Senatoren bis zu zwei Jahre für die Verabschiedung eines Gesetzes braucht.

Die dritte Wahl Berlusconis kann man danach sehen als Zeichen der Demoralisierung: ein ineffizientes politisches System hatte die Zustimmung der Bürger verloren.

Im Ergebnis bröckelt in Italien der antifaschistische Konsens, und Berlusconi leistet dazu seinen Beitrag. Und die Reform-Linke: Priester brachte das Dilemma kurz und knapp auf den Punkt „Eine Linke die spart sieht immer schlechter aus“.

Eine hochinteressante Einführung in die aktuellen Probleme Italiens, und in der anschließenden Diskussion wurden eine Reihe weiterer Aspekte sachkundig vertieft. Die Reihe der “Europa-Gespräche im Museum” der SPD Münster wird im März 2009 fortgesetzt. Thema der nächsten Veranstaltung: Holland in Not.

Ferien mit Kindern aus Belarus: 25.11.2008 Gruppentreffen Wolfgang Heuer gemeinsamer OB-Kandidat von SPD und Grünen