Hannelore Kraft: Rau-Wähler sind zu schlau für Rüttgers / 22.07.08
Die Vorsitzende der NRWSPD im Interview mit der Bild-Zeitung
Hannelore Kraft, Vorsitzende der NRWSPD
Zum 8. Mal urlaubt SPD-Chefin Hannelore Kraft (47) in Sundern-Hachen im Hochsauerland. Gönnt sich mit Ehemann, Sohn und Golden-Retriever-Hündin “Sandy” acht Tage Fitness-Ferien. Bild traf sie dort zum Interview – volle Kraft voraus! …
Bild: Macht es Sie sauer, wenn sich Jürgen Rüttgers öffentlich Sorgen um die Zukunft der SPD als Volkspartei macht?
Hannelore Kraft: Nein, das soll doch nur von seiner unsozialen Politik ablenken. Er sollte sich mal besser Gedanken machen, was er Lehrern, Eltern und Kindern mit seiner Schulpolitik antut.
Bild: Aber die Vereinnahmung von Johannes Rau durch Rüttgers muss Sie doch aus der Ruhe bringen. Vor allem, weil er ja auf die Rau- und die Helmut-Schmidt-Wähler abzielt!
Hannelore Kraft: Die Johannes-Rau-Wähler sind viel zu schlau, um ihm auf den Leim zu gehen. Ich mache mir da keine Sorgen, weil das alles nicht mit Inhalten gefüllt ist. Auch sein Versuch, sich als Hüter des Erbes von Johannes Rau zu positionieren, ist ein rein plakatives Ablenkungsmanöver.
Jürgen Rüttgers privatisiert in NRW eiskalt alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Er stutzt die Arbeitnehmerrechte und verkauft 93 000 LEG-Wohnungen an eine Heuschrecke. Das war nie die Politik von Johannes Rau. Wer so verzweifelt wie Herr Rüttgers versucht, in eine andere Rolle zu schlüpfen, der muss sich auch fragen lassen, wer er denn eigentlich selber ist.
Bild: Stecken Sie in der Klemme zwischen dem betont sozial auftretenden Ministerpräsidenten und der Linkspartei?
Hannelore Kraft: Wir arbeiten an unseren inhaltlichen Positionen, kommen dabei gut voran. Ich glaube auch nach wie vor, dass wir es schaffen können, die Linkspartei unter fünf Prozent zu bekommen. Am Ende werden bei den Wahlen die Menschen über die Inhalte entscheiden, und nicht über mathematische Koalitions-Rechenaufgaben. Und da haben wir zum Beispiel bei der Abschaffung der Studiengebühren die Menschen auf unserer Seite.
Bild: Sie stehen bundesweit unter 30 Prozent – obwohl am Arbeitsmarkt die Reformen Gerhard Schröders zu greifen beginnen. Warum zerfleischt sich die SPD selber, statt sich zu den Erfolgen der Reform-Agenda 2010 zu bekennen?
Hannelore Kraft: Ich stehe zur Reformpolitik, zur Agenda und zu Hartz IV. Es geht aber nicht, dass man alle diese Gesetze auf einen Sockel stellt und für unantastbar erklärt.
Man muss sich ihre Wirkung ansehen – im Guten, beim Rückgang der Arbeitslosigkeit. Aber auch bei den Problemen, die sie gebracht haben. Da müssen wir als SPD die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten im Blick behalten. Für mich wird bei dieser Debatte zu viel in Schwarz-Weiß gedacht – dabei ist die Welt bunt.
Bild: Was halten Sie davon, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen?
Hannelore Kraft: Die letzten Störfälle und die Probleme um das Zwischenlager in Asse zeigen ganz deutlich, welche Probleme die Atomenergie mit sich bringt. Darum wird sich die grundsätzliche Haltung der SPD zum Atomausstieg auch nicht ändern. Die Politik hat dazu eine Vereinbarung mit der Energiewirtschaft geschlossen, und Vereinbarungen sollte man auch einhalten.
Vor allem: Wenn die Atommeiler weiterlaufen dürften, wird es bei uns in NRW nicht zum Neubau moderner und sauberer Kohle-Kraftwerke kommen, die die alten Dreckschleudern ersetzen.
Bild: Was bedeuten steigende Energiepreise für die Steinkohle in NRW?
Hannelore Kraft: Jetzt tritt nach und nach genau das ein, was wir schon vor Jahren vorhergesagt haben: Die Weltmarktpreise steigen so stark, dass unsere Kohlevorräte teilweise schon bald zu wettbewerbsfähigen Bedingungen gefördert werden können. Deshalb ist es gut, dass die SPD in NRW für das Jahr 2012 eine Überprüfungsklausel in die Steinkohlevereinbarung hineingekämpft hat. Uns ging es darum, die Tür offen zu halten. Denn wenn wir jetzt unsere Kohlelagerstätten dichtmachen, brauchen wir anschließend zehn Jahre Anlaufzeit, um wieder das erste Stückchen Kohle zu Tage zu fördern. Für ein Stück Unabhängigkeit vom weltweiten Kohle- und Gas-Monopoly brauchen wir einen Sockelbergbau.
Das Interview führte Peter Poensgen
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