Kulturpolitik auf neuen Wegen / 15.07.08
Wolfgang Heuer: Nach einem Bürgerentscheid muss die Münsteraner Kulturpolitik neu überdacht werden
„Soll die Stadt Münster kein Geld für den Bau und Betrieb einer Kultur- und Kongresshalle auf dem Hindenburgplatz ausgeben?“ Auf diese bisweilen irritierend wirkende Fragestellung antworteten Ende April bei einem bundesweit beachteten Bürgerentscheid in Münster 70 281 Bürgerinnen und Bürger mit Ja. Nur 28 891 waren gegenteiliger Auffassung. Mit diesem klaren Ergebnis sind bis auf weiteres alle Ambitionen auf die Errichtung eines neuen Kultur- und Tagungszentrums im Herzen der westfälischen Universitätsstadt Makulatur geworden.
Nach einer harten, teilweise polemisch geführten Kontroverse setzte sich damit ein Zweckbündnis u.a. aus Grünen, Linkspartei und UWG/ödp durch. Der Bürgerentscheid markiert auch das spektakuläre Ende der seit 20 Jahren laufenden Bemühungen, in Münster eine Musikhalle zu errichten. Auf der Befürworter- und damit Verliererseite sahen sich neben einer privaten Musikhallen-Initiative auch die regierenden Parteien CDU und FDP sowie die seit 1999 im Rat opponierenden Sozialdemokraten überrascht von der Deutlichkeit der Ablehnung in weiten Teilen der Bevölkerung. Zumal dem geplanten Baukostenzuschuss der Stadt in Höhe von 12 Millionen Euro immerhin 18 Millionen Euro aus Wirtschaft und Bürgerschaft für die „Halle für alle“ (Werbeslogan) entgegenstanden.
Allerdings gibt es Gründe: In den letzten Jahren hat die schwarz-gelbe Rathauskoalition gerade den Kultur- und Bildungsbereich in Münster immer wieder mit rigorosen Streichaktionen überzogen. Zudem wurden trotz großer Proteste u.a. Schwimmbäder geschlossen, Gehälter von Erzieherinnen gekürzt und bürgerschaftlicher Einsatz mit unverständlichen Zumutungen bestraft. Der Verdruss der Bürger über diese Politik fand im Bürgerentscheid ein weit geöffnetes Ventil. Demgegenüber verblassten Zusagen der SPD, schwarz-gelbe Kürzungen nach erfolgreicher Kommunalwahl zurückzunehmen, oder Hinweise der Universität auf die negativen Folgen eines ablehnenden Entscheids für den Standort. Zudem wurde das Kulturprojekt nie das Image los, vorrangig für die Münsteraner Oberschicht gedacht zu sein.
Klar ist: Nicht nur in Münster ist der Erklärungs- und Legitimationsbedarf für öffentlich geförderte, kulturelle Großvorhaben deutlich gestiegen. So gerieten in Hamburg und Freiburg beim webgestützten „Bürgerhaushalt“ Kulturprojekte auf die Streichliste. Dies sehen auch Politikstrategen und fahnden nach populären Trumpfkarten im Verteilungskampf – zunehmend auf Kosten der Kultur? Nüchtern gesehen, treffen die Not der öffentlichen Etats und das geschwächte kommunale Leistungsangebot auch die Kultur und werfen die Frage nach den Prioritäten auf.
Damit gerät die kommunale Kulturförderung als freiwillige Aufgabe noch von einer anderen Seite unter Druck: Im Rahmen der so genannten Public Private Partnership sind es die privaten Geldgeber, die mehr und mehr die Realisierung ambitionierter Vorhaben dominieren. Den fast durchgängig klammen Kommunen wird so zunehmend die öffentliche Verantwortung für kulturelle Infrastruktur entzogen. In der Abhängigkeit von finanzstarken Privaten sehen Kritiker bereits die Gefahr einer „Refeudalisierung der Künste“ (Ingo Schulze).
Wie weiter? Auch in der Kulturpolitik muss die Neujustierung des Verhältnisses von Staat, Markt und Gesellschaft bewusst gesteuert werden. Kulturpolitik vor Ort sollte dabei an vielen Stellen entwicklungsoffener, kommunikationsstärker und zugleich konzeptgestützter vorgehen. Hier können Instrumente der Leitbildentwicklung und der Kulturentwicklungsplanung als bürgernahe Beteiligungsverfahren (!) ein mehr an Transparenz und demokratischer Zustimmung bewirken – mit Folgen auch für den Stellenwert der Kultur. Wenn in diesem Prozess die möglichst breite kulturelle Bildung als zentrale politische Herausforderung anerkannt wird, dann werden neue Vorhaben die Zustimmung der Bürgerschaft finden – auch in Münster. (Wolfgang Heuer, SPD-Fraktionsvorsitzender und OB-Kandidat in Münster; der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe (7-8/2008) der „Demo“ – Die Monatszeitschrift für Kommunalpolitik erschienen.)
Halbzeit 2008 im Bundestag: Viel erreicht und viel zu tun! Ausweitung der Mindestlöhne ist ein Gewinn für Frauen