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China: die andere Seite / 3.07.08

Strahlende Gesichter zeigt das Pressefoto: der chinesische Botschafter wird am 1. Juli 2008 von Münsters stellvertretender Bürgermeisterin Reismann empfangen.

Das Kontrastprogramm findet nebenan statt. Christoph Strässer, münsterscher Bundestagsabgeordneter, referiert im Vortragssaal des Landesmuseums über die Menschenrechtslage im Vorfeld der olympischen Spiele in Beijing. Die Gesichter der zahlreichen Zuhörer und Diskutanten sind nicht so oberflächlich-strahlend, eher betroffen.

300 Jahre hat es von der Aufklärung bis zum Frauenwahlrecht in Europa gedauert, leitet Strässer ein – eine diskrete Erinnerung, dass der Fortschritt eine Schnecke ist, zugleich ein Hinweis, auf schrittweise Veränderungen auch in China auf dem Wege zu einer Zivilgesellschaft zu sehen.

Doch die Fakten sprechen nach der vorsichtigen Einleitung für sich.

Die chinesische Verfassung garantiert seit 2004 Menschenrechte, aber einklagen kann sie kein Chinese. Dagegen steht der Machtanspruch der Partei, die keine Gewaltenteilung kennt und alle Medien zentral lenkt. Informationsfreiheit soll es für ausländische Journalisten nur während der Spiele geben, das Internet wird zensiert (auch von Google und Yahoo, per Selbstzensur!), und eine unbekannte Zahl von Systemkritikern, Bettlern und Obdachlosen ist ohne Gerichtsverfahren bis zu 4 Jahre lang in Lagerhaft. Für 68 Delikte wird die Todesstrafe verhängt und in mobilen Hinrichtungsstationen (made in Japan) vollstreckt; die Todesstrafe ist gesellschaftlich akzeptiert, erst seit 2007 werden die Todesurteile durch das Oberste Volksgericht im Rechtsmittelverfahren überprüft. Die Todesstrafe wird auch bei der Verfolgung ethnischer Minderheiten wie der moslemischen Uiguren angewandt.

Vor diesem Hintergrund Olympia boykottieren? Strässer ist an dieser Stelle sehr zurückhaltend, hält einen Boykott nach den Erfahrungen in Moskau und Los Angeles nicht für sinnvoll; er spricht den Big Business von Internationalem und Nationalem Olympischen Komitee an, wo Funktionäre behaupten, politikfrei zu agieren, und den Sportlern den Mund verbieten wollen.

Nicht zuletzt nennt Strässer die fatale Entwicklung in Afrika. China baut Infrastruktur und baut damit zugleich seinen Einfluss aus, und Europa schaut zu; europäische Unternehmen halten sich aus Afrika heraus und sagen stattdessen „Lasst das mal die Chinesen machen“. Waffenlieferungen (wie jüngst nach Simbabwe) sind ein weiteres Lockmittel der Chinesen, aber: Deutschland ist zurzeit der drittgrößte Waffenexporteur, hier sollte erst mal vor der eigenen Tür gekehrt werden – offenen Beifall gab es für dies Statement.

Aus der lebhaften Diskussion seien hier zwei Beiträge genannt:

Einmischung in andere Länder bringe nichts, stellte ein Zuhörer als These in den Raum. Strässer hielt dagegen: Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir den Druck ausbauen und miteinander reden, Entwicklung ist möglich.

Menschenrechtsverletzungen der amerikanischen Regierung in Guantanamo nannte ein anderer als eigenes Problem der westlichen Welt. Strässer zeigte Flagge: Wenn die Freilassung der unschuldigen 13 uigurischen Guantanamo-Häftlinge allein daran scheitere, dass kein Land der Welt sie aufnehmen wolle, dann solle Deutschland sich bereiterklären. Ein ungewohnter Vorschlag, angesichts der aktuellen Sicherheitsdebatte z.B. um mehr Überwachungskompetenzen für das BKA sicher kein Mainstream – aber warum eigentlich nicht? Sich über China empören und durch Nichtstun am Unrecht im Westen beteiligt sein, das passt nicht zusammen!

Mehr Informationen:
Immer mehr deutsche Olympiateilnehmer bekennen sich zu Menschenrechten und werden bei Olympia demonstrativ ein blau-grünes Bändchen tragen: www.netzathleten.de

Von wegen Sommerpause! Gesehen: Hiltrup in der WDR "Lokalzeit"