Jugendkriminalität – verantwortungsloses Wahlkampftheater der CDU um ein ernstes Thema / 3.01.08
Man weiß nicht, worüber man sich mehr entsetzen soll: über beunruhigende Fälle von Gewalt, begangen von jugendlichen Extremtätern, oder über den offensichtlichen Schindluder, den die CDU damit treibt.
Um vorab jedes Missverständnis auszuschließen: Jugendkriminalität kann und darf nicht verharmlost werden. Nicht erst seit der öffentlichen Konkurserklärung der Rütlischule in Berlin oder den schlimmen Vorfällen in München ist sie ein Thema. Niemand kann sich hier wegducken.
Aber dürfen schlechte Umfragewerte für Herrn Koch in Hessen ein Grund sein, bundesweit nach Verschärfungen des Strafrechts zu rufen? Und die besonnene Bundesjustizministerin zu diffamieren? (Originalton Koch: „Sie begreift bis heute nicht, dass in der Erziehung bisweilen Härte dazugehört.“) „Warnschussarrest“ (Originalton Koch: “Lieber drei Tage Gefängnis als lebenslänglich kriminell!”), Erwachsenenstrafrecht für Heranwachsende, Sicherungsverwahrung, Ausweisung, und natürlich keine „Kuschelpädagogik“, kein „Kuschelvollzug“ – was könnte man denn sonst noch Schönes, vor allem Stammtischgängiges auf den Markt bringen: vielleicht Knast für 10-Jährige? Wasser und Brot im Knast, damit jugendliche Straftäter frühzeitig spüren, “wie sich Gefängnis von innen anfühlt”?
Ach wenn doch wenigstens ein bisschen Verstand mit im Spiel wäre! Nüchterner, sozusagen kaufmännischer Verstand, der ganz einfach eine Nutzen-Kosten-Rechnung aufmacht: welchen Nutzen, welchen Erfolg bringen denn bestimmte Maßnahmen, und was kosten sie, welchen Aufwand fordern sie und welche teuren Nebenwirkungen haben sie? Bleiben die Täter nach der Maßnahme unauffällig oder werden sie rückfällig?
Außer den Biertisch-Strategen gibt es doch Fachleute, die sich professionell mit solchen Rechnungen befassen. Deren Urteil sieht recht nüchtern aus. Sie raten zum Beispiel, die Strafe – wenn es denn Strafe sein muss – auf dem Fuße folgen zu lassen: staatsanwaltschaftliches Verfahren und anschließendes Gerichtsverfahren müssen so kurz sein, dass es einen direkten Zusammenhang und damit einen Lernerfolg gibt. Möglich ist das, man muss nur Grips und Personal investieren. „Haus des Jugendrechts“ heißt das Modellprojekt. In Baden-Württemberg steht’s, nicht in Hessen und nicht in Nordrhein-Westfalen. Dort baut man Personal in der Justiz ab.
Auch zum amerikanischen Beispiel des Bootcamp können diese Fachleute etwas sagen. Dieser menschenverachtende Ansatz, Jugendliche durch psychischen und physischen Druck zu erniedrigen und zu brechen, ist aus der Rekrutenschleiferei der amerikanischen Marines übernommen, und er bringt nur eins: hohe Rückfallquoten. Professor Michael Walter, Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Köln, sagt dazu: „Häufige Inhaftierungen und besonders strenge Haftbedingungen wirken sich höchstens verrohend aus und erhöhen die Wiederauffälligkeit (zitiert nach WDR.de). Oder noch kürzer: “Härte macht roh” (Gefängnisleiter Joachim Walter, zitiert nach Frankfurter Rundschau vom 4.1.2008).
„Warnschussarrest“ – gleiche Aussage: „71 % Rückfallquote, extremer Misserfolg“ (Kriminologe Christian Pfeiffer, zitiert nach der Süddeutschen Zeitung vom 3.1.2008).
Was bleibt in dieser überhitzten Diskussion über? Zum einen natürlich die alte Erfahrung, dass angeschlagene Wahlkämpfer vor keiner Dummheit zurückschrecken. Zum andern das Erschrecken, wie bedenkenlos Forderungen nach „Härte in der Erziehung“ auch von den Spitzen der Bundes-CDU verbreitet werden. Welches Menschenbild ist in diesen Köpfen? Glauben da immer noch welche, Einsicht und Wohlverhalten in die Köpfe prügeln zu können?
Eins sollte man bei allem Politiker- und Medienrummel im Auge behalten. Jugendkriminalität ist kein Phänomen, das plötzlich auftaucht und rasant wächst. Auf die Frage, ob Jugendliche tatsächlich immer gewalttätiger werden, gibt Professor Walter eine eindeutige Antwort: Die Forschung sagt uns ganz deutlich, dass es dafür keine Anhaltspunkte gibt. Teilweise erleben wir zwar bei besonders gefährdeten Jugendlichen noch Steigerungen, aber insgesamt nimmt die Gewaltkriminalität nicht zu, sie geht teilweise sogar leicht zurück.
Prävention ist und bleibt der einzige erfolgversprechende Weg, um die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen. Die Jugendämter müssen in die Familien, anders kann Verwahrlosung und Kriminalität nicht vorgebeugt werden. Auch die Polizei muss in die Familien, ran an die Problemkids: Wer Ärger macht, bekommt Besuch. Das ist kein Allheilmittel, aber durchaus wirksam.
Nur einen Nachteil hat solche Präventionsarbeit: Man kann sich als Ministerpräsident nicht mehr mit heftigem Personalabbau als großer Modernisierer der Verwaltung brüsten. Denn Prävention braucht kundige Mitarbeiter.
Übrigens: wenn Sie meinen, Sie könnten auf der Homepage des Herrn Koch etwas Nachvollziehbares erfahren über seine Rezepte zur Jugendkriminalität: Fehlanzeige! Alles aus der Hüfte geschossen, kein Konzept dahinter!