Peinliches Kampfblatt / 23.03.15
WN verunglimpfen Vizekanzler
Bei der Wahl der Mittel waren die Westfälischen Nachrichten nie zimperlich. Wird über einen Neujahrsempfang berichtet, ist das Foto des SPD-Fraktionsvorsitzenden kleiner als alle anderen. Überparteilich, das schreiben andere Zeitungen in den Kopf. Katholische Kirche, CDU, früher auch die Bundeswehr kommen gern zu Wort. Man kannte das und nahm es hin, es gab ja noch die andere Zeitung, die Münsterschen Nachrichten. Die war vor langer Zeit mal die liberale Alternative, bis sie zum Zombie verkam, ein Wiedergänger der Westfälischen Nachrichten. Nun gibt es faktisch nur noch eine einzige Zeitung für eine Stadt von 300.000 Einwohnern.
Das bedeutet Verantwortung: da gibt es zum einen die viel beschworene journalistische Verantwortung, kurz gesagt “drucke keinen Unsinn”. Dann gibt es noch die bürgerschaftliche Verantwortung der Verlegerfamilie, ihre Stadt und ihre Partei nicht zu kompromittieren.
Dieser Verantwortung wird die aktuelle Entwicklung der Westfälischen Nachrichten nicht gerecht. Ein markantes Beispiel ist der Aufmacher in der Ausgabe vom 23.3.2015 “Fall Snowden: Verriet Gabriel Geheimnisse? / USA sollen Deutschland gedroht haben” und der dazugehörige Kommentar mit der fetten Überschrift “Plaudertasche?”.
Geheimnisse gibt es viele in einer mittelgroßen Stadt, und eine Zeitung lebt vom Verrat dieser Geheimnisse. Das fängt an beim Verkehrsunfall, von dem nur die Beteiligten wissen – das Geheimnis wird (möglichst mit Fotos von den Wracks) auf der Lokalseite ausgeplaudert. Dazu gehören auch die Fusionsgespräche von Sparkassen, die sicher nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren, und endet noch lange nicht beim Tratsch aus den Ratsfraktionen. All das ist das normale Tagesgeschäft.
Wenn dem Vizekanzler Geheimnisverrat vorgeworfen wird – in Frageform, man hat ja nichts gesagt, aber man wird ja doch fragen dürfen! – , dann hat das durchaus eine andere Qualität. Die Vokabeln “Geheimnisverrat” und “USA / Deutschland” sprechen eine ganz andere Sprache: sie legen die Fährte zum Strafgesetzbuch. “Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle … geheimgehalten wird, an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt”, gehört in den Knast. §95 Strafgesetzbuch ist unmissverständlich. Verbrecher Gabriel?
Worum es in den Zeitungsartikeln geht, ist die Zwickmühle Deutschlands zwischen dem Verbündeten USA und dem humanitären Anspruch, Snowden Asyl zu gewähren. Jeder weiß, dass Snowden in Deutschland schutzlos wäre. Völkerrechtliche Verträge und deutsche Staatsraison würden seine Auslieferung bedeuten. Und jeder weiß, dass die USA in solchen Fällen unmissverständlich Druck machen, was sie erwarten. Alles kein Geheimnis. Der Süddeutschen Zeitung ist das eine kurze Meldung auf Seite 7 wert; der Journalist Greenwald behauptet, Gabriel habe von amerikanischem Druck gesprochen, und Gabriel sagt er habe auf die Rechtslage hingewiesen.
“Verriet Gabriel Geheimnisse?” als Schlagzeile der Westfälischen Nachrichten ist schlicht lächerlich. Der “roten Socke” Gabriel wird etwas angehängt, und etwas wird schon hängen bleiben.
Für die Stadt Münster ist diese Kampfblatt-Linie der einzigen Zeitung unwürdig. Die Stadt rühmt sich zu Recht ihrer Qualitäten, und das sind auch intellektuelle. Dazu passt ein so peinlicher Auftritt nicht. Er kompromittiert letztlich die städtischen Akteure, für die die Zeitung zu sprechen vorgibt. Wie lange kann die CDU sich noch so ein Desaster leisten?
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