Atom RSS

Beleidigt / 30.07.14

Lammert und die Wissenschaft

Bundestagspräsident Lammert will nicht bei der Uni Düsseldorf reden. Das ist erst mal keine Nachricht, ein Bundestagspräsident ist schließlich ein wichtiger Mann und hat viele Termine, aber nicht viel Zeit. Auch wenn der angefragte Termin erst im November 2015 liegt. Zur Nachricht wird diese Banalität durch Lammerts Begründung. Laut FAZ ist Lammert irritiert, dass bei der Überprüfung der Dissertation der ehemaligen Wissenschaftsministerin Schavan „jegliche kritische Stimmen auch und gerade von hochangesehenen Wissenschaftlern und aus den akademischen Spitzenverbänden ausnahmslos für eine unerwünschte Einmischung und unzulässige versuchte Einflussnahme erklärt werden“. Die Uni Düsseldorf hat nämlich Schavans Doktorarbeit überprüft, und sie ist ihren Doktortitel und ihr Ministeramt los, weil sie in der Doktorarbeit abgeschrieben hat. Das ist vom Gericht geprüft und rechtskräftig bestätigt.

Nun ist das ja eigentlich egal, was Herr Lammert über Täuschungsversuche in der Wissenschaft denkt, und Frau Schavan ist in derselben Partei wie er, da hilft man sich eben. Und Lammert kann es ihr nachfühlen, auch seine Doktorarbeit stand auf dem Prüfstand, Spiegel online berichtete als Erklärung der Uni Bochum: „Der Bundestagspräsident habe nicht betrogen, seine Arbeit weise lediglich handwerkliche Schwächen auf.“

Bedenklich wird die Sache durch den Hintergrund. Den hat der Dekan Bleckmann der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf in einem sehr lesenswerten Bericht zusammengefasst. Darin belegt Bleckmann, wer mit welchen intellektuellen Verrenkungen Einfluss nehmen wollte. Kurz gesagt: wenn es um eine(n) prominente(n) Politiker(in) geht, die / der Geld zu verteilen hat, dann verrät der gesamte Wissenschaftsbetrieb alle hehren Grundsätze der Wissenschaft. Und der beteiligte Politikbetrieb nimmt nachhaltig übel.

Staunende Zuschauer bleiben zurück. Sie haben all die Parolen geglaubt, dass Deutschland einen Fachkräftemangel hat und dass die deutsche Wissenschaft ehrlich und kreativ arbeitet; sie haben zum Beispiel ein naturwissenschaftliches Studium absolviert, arbeiten an der Universität auf halben Assistentenstellen mit 3-Monats-Zeitverträgen oder auch unbezahlt, müssen wissenschaftliche Veröffentlichungen und ihre Doktorarbeit schreiben und gehen mit 30 Jahren in den Arbeitsmarkt – da stellen sie dann fest, dass alles keinen Wert hat. Die angeblich so dringend benötigten Naturwissenschaftler bekommen, wenn sie es überhaupt in einen Vorstellungstermin schaffen, ein Gehalt unterhalb der Lehrerbesoldung angeboten. Ihnen bleibt nichts als Staunen: wie die politische Elite und die Wissenschaftsfunktionäre sich verhalten, wenn‘s ums persönliche Überleben und ums Geld geht. Wenn einer beleidigt sein könnte, dann sie.

Strom-Tarife am Telefon? Kalter Krieg in den Medien