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Afghanistan: Gute Vorsätze für 2010? / 3.01.10

Seit 2001 besteht die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, kurz ISAF (aus dem engl. International Security Assistance Force), geplant als Sicherheits- und Aufbaumission unter NATO-Führung in Afghanistan. Das dieser Einsatz keine friedliche Blauhelm-Mission, sondern ein bewaffneter friedenserzwingender Einsatz sein würde, war allen Beteiligten bewusst.

Rund acht Jahre nach der Vertreibung der Taliban aus Kabul ist die Bilanz des internationalen Einsatzes dürftig. Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Zwar konnten im Bildungs- und Gesundheitsbereich erste Fortschritte erzielt werden, doch besonders auf dem Land kommt bis heute nicht ausreichend Hilfe an. Immer noch leiden viele Menschen unter Hunger und Mangelernährung. Die Sicherheitslage ist inzwischen im ganzen Land schlechter und gefährlicher denn je.

Zur fortschreitenden Eskalation der „Sicherheitslage“ in Afghanistan trägt die Situation in Pakistan maßgeblich bei. Schon seit Monaten sieht sich die pakistanische Regierung mit einem ungekannten Ausmaß von Anschlägen und bewaffneten Überfällen konfrontiert, die sich auch auf die städtischen Zentren Lahore und Islamabad erstrecken. Die Versuche der pakistanischen Regierung, die Grenzregionen zu Afghanistan, unter ihre Kontrolle zu bringen, waren bisher nicht erfolgreich. Die bewaffneten Oppositionsgruppen in Afghanistan profitieren von dieser Situation. Sie rüsten sich mit Hilfe ihrer Nachschubbasen in der Grenzregion zu Pakistan auf und wenden immer wieder neue Taktiken im Kampf gegen die afghanische Armee und die sie unterstützenden internationalen Truppen an. Dabei weiten sie ihren Aktionsradius zunehmend auch in den Westen sowie den lange relativ friedlichen Norden des Landes aus, indem die deutsche Bundeswehr stationiert ist. Grund dafür ist einerseits die erklärte Strategie der Aufständischen, auch den Norden zu destabilisieren. Andererseits ist die strategische Bedeutung dieser Regionen für die internationalen Truppen auch stark gestiegen. Die Versorgung der westlichen Truppen musste nämlich aufgrund der zahlreichen erfolgreichen Anschläge auf die Konvois aus Pakistan verlagert werden. Nun kommt der Nachschub im Norden an, aus Usbekistan und Tadschikistan. Entsprechend führen die Nachschubwege für die am heftigsten kämpfenden Truppen im Süden des Landes nun durch den Norden Afghanistans.
Heute, mehr als acht Jahre nach der Vertreibung der Taliban aus der Regierung kann leider von Frieden in Afghanistan keine Rede sein. Der Einsatz hat bislang 33 deutschen Soldaten und 3 deutschen Polizisten das Leben gekostet; 19 davon kamen gewaltsam ums Leben und 14 bei Unfällen. Im Rahmen von Operation Enduring Freedom und des ISAF-Einsatzes sind von 2001 bis November 2009 insgesamt mehr als 1267 Soldaten gefallen, darunter 751 US-Amerikaner, 188 Briten, 125 Kanadier, 40 Franzosen, 36 Deutsche, 25 Spanier, 24 Dänen, 19 Niederländer, 15 Italiener, 15 Polen, 11 Rumänen, 11 Australier, 4 Esten, 4 Norweger, 3 Tschechen, 2 Portugiesen, 2 Schweden, 2 Ungarn, 2 Türken, 1 Finne, 3 Letten, 1 Litauer und 1 Südkoreaner.
Bereits seit 1978 herrscht Krieg in Afghanistan, weshalb die Uno besonderen Wert auf den Aufbau demokratischer staatlicher Strukturen legte. Aber schon die erste Wahl eines Präsidenten und die Schaffung einer halbwegs demokratischen Verfassung gelang nur mit vielen Schwierigkeiten. Die Wiederwahl des Präsidenten Karzai im Herbst 2009 geriet zum Desaster, das deutlich macht wie wenig der Aufbau von Recht und Demokratie im Land vorangekommen ist. Massive Wahlfälschungen und Manipulationen führten dazu, dass es wochenlang kein Ergebnis gab. Die erneute Wahl Karzais kann man nur als irregulär und nicht demokratisch bezeichnen. Seine Regierung schaffte es unter internationaler Aufsicht auf Platz zwei der korruptesten Länder der Welt. Auf der Rangliste von Transparency International landet Afghanistan unter den 180 Ländern gleich hinter dem Piratenstützpunkt Somalia auf Platz zwei. Dabei sind es vorwiegend internationale Gelder die hier veruntreut werden. Geld das eigentlich in den schleppenden Wiederaufbau des Landes fließen soll. Nach wie vor ist das Land der weltweit größte Produzent von Opium, dem Grundstoff für Heroin. Die Entwicklung in Afghanistan zeigt leider immer wieder, dass die Strategie der Uno und der intervenierenden Staaten trotz aller Bemühungen und Verluste nicht aufgeht. Der afghanischen Regierung zufolge befanden sich im Sommer 2009 13 von 365 Distrikten ganz unter Kontrolle der Taliban, 133 weitere wiesen „ernsthafte Probleme“ auf. Das Konzept der „integrierten Sicherheit“, d.h. der engen Verknüpfung von zivilem Wiederaufbau und militärischem Einsatz, hat seinen Zweck nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Vorstellung „im Norden Afghanistans könnten die deutschen Soldaten friedlich Brunnen und Schulen bauen“ ist – wie es Generalinspekteur a. D. Harald Kujat in Die Zeit (30.7.09) zugibt – „naiv gewesen“.

Nun ist guter Rat teuer, wie soll es weiter gehen? Zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan will Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nun auch mit den Taliban sprechen. Vom Ziel einer demokratischen Verfassung und der Garantie der Menschenrechte scheint er längst abgerückt zu sein.

Aber wofür kämpft dann die Bundeswehr in Afghanistan? Die Ausbildungslager der Taliban befinden sich inzwischen in Pakistan, im Jemen, in Somalia und anderswo.

Nach Gesprächen des SPD Parteivorstands mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt, soll es nach öffentlichen Angaben aus der Parteiführung im Januar 2010 ein Beschlussvorschlag an die Partei gehen. Wir sollen ab Februar Zeit haben, über diesen Vorschlag zu debattieren.

Auf Grundlage der Mitgliederrückmeldungen will die Parteiführung dann die SPD-Position zum weiteren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan beschließen. Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier haben bereits öffentlich klargestellt, dass die SPD einer Entsendung zusätzlicher Kampftruppen nicht zustimmen wird. Aus den acht Jahren Präsenz und den gebrachten Opfern ergibt sich aber natürlich auch eine Verpflichtung. Es wäre problematisch, jetzt eine Haltung einzunehmen: „Wir gehen einfach!“

Der Meinungsbildungsprozess zum weiteren Engagement in Afghanistan kann das wichtigste außenpolitische Thema des Jahres werden. Wir wollen es daher auch im Ortsverein Münster Hiltrup/Berg Fidel gründlich diskutieren und unser Votum Richtung Berlin auf den Weg bringen. Bitte nutzt die verbleibende Zeit und besprecht Euch mit Freunden und Bekannten, informiert Euch aktuell und umfassend zur Situation in Afghanistan. Es wird so oder so keine leichte Entscheidung. HGW

2010 Unter die Wäsche