Asylpaket II umstritten
Der Stadtbezirk Hiltrup hat sich bislang von seiner besten Seite gezeigt. Flüchtlinge in der Turnhalle (in den vergangenen Sommerferien), Flüchtlinge in der Stadthalle, Container an vielen Standorten: wir haben konstruktiv mitgemacht mit Spenden und tatkräftiger Unterstützung, haben kaum gemurrt. Jetzt haben wir gerade eine Atempause, andere Kommunen müssen ihre Hausaufgaben machen und Quartier schaffen. Besonnene Bürger wissen, dass schon lange Flüchtlinge in Hiltrup wohnen, an der Böttcherstraße gibt es überhaupt keine Probleme mit den Nachbarn ringsum.
Wir schaffen das. Die Verwaltung schafft das. Mit enormem Einsatz hat die Stadtverwaltung es bislang hinbekommen, dass kein Flüchtling im Winter im Zelt leben muss. Kann das lange gut gehen?
Die Verwaltung sagt: es gibt keine Probleme in und mit den Unterkünften. Aber was heißt das? Doch nur, dass alle Beteiligten sehr geduldig sind. Die Flüchtlinge sitzen geduldig in der Unterkunft und denken über ihre Zukunft nach. Die kleinen Flüchtlinge warten auf Plätze in den Kitas, in den Schulen, warten auf Sprachkurse, auf Extrabetreuung. Die Familien warten auf Arbeit, auf eine vernünftige familientaugliche Wohnung, auf zu Hause zurückgelassene Angehörige – und entbehren ihre verlorene Heimat. Da müssen Lehrer und Betreuer her, Sprachkurse, Schulungs- und Ausbildungsangebote, Arbeitsplätze, Wohnungen: wer arbeiten will und nicht kann, wird krank – das darf keine verlorene Generation werden. Geduld ist endlich.
Das Alles kostet. Im Interesse der gesamten Bürgerschaft muss kräftig investiert werden. Integration ist eine gute Investition, aber in der aktuellen Form, sozusagen als Gewaltakt ist sie teuer, und die Rendite kommt nicht nach 6 Monaten – vielleicht nach 6 Jahren, oder nach 16. Es ist eine lange überfällige Investition, zu lange hat die CDU das heiße Thema Einwanderung nicht wahr haben wollen: die deutsche Bevölkerung schrumpft, wer seinen Wohlstand auf Dauer, d.h. auch im Alter erhalten will, muss handeln. Aber muss das gleich so heftig wie jetzt sein?
Die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen ist eine gute Tradition. Hunderttausende hat Deutschland aufgenommen, als der Krieg auf dem Balkan tobte. Ein kleiner Teil ist geblieben, die meisten sind nach Kriegsende in ihre Heimat zurückgegangen: das Leben dort ist bescheiden, aber es ist Heimat. Für die, die jetzt zu uns kommen, ist diese Perspektive recht zweifelhaft. Syrien, was wird da noch bewohnbar sein? Irak, destabilisiert und vom Terror geschüttelt, Libyen und Afghanistan genauso: gibt es dort eine Perspektive, dass diese Länder zur Ruhe kommen und mit Hilfe von außen, aber im Kern aus eigener Kraft den Aufbau schaffen? Türkei, Libanon und Jordanien, wie sollen dort Flüchtlinge siedeln können, wenn noch nicht einmal das tägliche Brot und Wasser gesichert sind?
Eine Leitfigur des Kapitalismus, der Investor George Soros hat kürzlich einen Investitionsplan vorgeschlagen. Ganz nüchtern kalkuliert er mit zweistelligen Milliardenbeträgen, die die EU jährlich in die Länder im nahen Osten investieren sollte, um dort Lebensperspektiven zu schaffen für all die Flüchtlinge. Soros schlägt vor, dass die EU ihr gutes Rating nutzt und Kredite aufnimmt. Ein interessanter Gedanke. Aber völlig unrealistisch, wenn man auf die heillos zerstrittene EU schaut. Der Wanderungsdruck auf Deutschland wird also bleiben, und viele der hier Angekommenen werden bleiben.
Also noch einmal: was tun? Zuwarten, bis auch die letzte Turnhalle und das letzte Bierzelt mit Betten vollgestellt sind? Populistisch nennen manche solche Fragen. Realistisch stellen viele Bürgermeister solche Fragen. Es gibt einige wenige Bürgermeister, die weitere Flüchtlinge aufnehmen wollen – die meisten sagen, dass sie mit dem Rücken zur Wand stehen.
In der Bürgerschaft dürfte die Ja-Aber-Fraktion zurzeit die größte sein: ja, Kriegsflüchtlingen muss geholfen werden – nein, das geht nicht mehr lange gut. Angst. Das ist der Boden für rechte Parolen. Einfache platte Antworten auf schwierige Fragen, so etwas findet plötzlich auch bei Nachdenklichen Gehör: stell das Militär an die Grenze und schieß auf die Flüchtlinge. Na ja, vielleicht etwas ziviler, aber irgendetwas in dieser Art machen. Macht doch endlich was!
Die große Koalition in Berlin fördert diese macht-doch-endlich-was-Stimmung, indem sie die Zeit mit Streit verbringt. Unsägliche Streiterei, während die Busse mit den Flüchtlingen vor der Stadthalle ankommen. Und kaum hat man sich zu einem (faulen?) Kompromiss durchgerungen, geht die Zankerei um die Regelung der Leiharbeit weiter.
Was sollen wir dazu sagen? Mitstreiten? Der münstersche SPD-Bundestagsabgeordnete hat sich mit Knall gegen das Asylpaket II gestellt, hat sein Amt als Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung deshalb aufgegeben. Das ist ehrenwert. Ist es repräsentativ für Münster? Die Regelungen im Asylpaket II sind hart für die Betroffenen, aber machen wir uns nichts vor: allein fromme Wünsche werden keinen Flüchtling in der Türkei dazu bewegen, dort zu bleiben. Sich vornehm zurückhalten und insgeheim freuen, dass die Balkanstaaten die Drecksarbeit machen und ihre Grenzen schließen: das ist erst recht unanständig. Und den Rechtsradikalen durch eigenes Nichthandeln das Feld überlassen, das ist nicht nur dämlich, sondern unverantwortlich: die AfD sitzt in Hiltrup in der Bezirksvertretung und glänzt durch Schweigsamkeit, wie sollen solche konzeptlosen Gruppierungen im Landtag verantwortliche Politik machen?
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