„Sollen wir oder Sollen wir nicht?“ Diese Frage beschäftigt die SPD schon seit dem 20. November – solange ist es schon her, dass Frau Merkels Jamaika Träume jäh scheiterten.
Diese Frage hat die gute alte SPD mobilisiert wie seit langem nicht mehr. Eine Folge: Seit Januar sind 24.339 Menschen neu in die SPD eingetreten. Damit dürfen nun 463.723 Sozialdemokraten in unserem Mitgliedervotum darüber entscheiden, ob die GroKo zustande kommt oder nicht.
In den Ortsvereinen wird aktuell die Bundespolitik so leidenschaftlich und intensiv diskutiert wie seit Jahrzehnten nicht mehr: „Sollen wir oder Sollen wir nicht?“
Am 21. Januar entschied ein Sonderparteitag sich dafür, Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU aufzunehmen. Das Ergebnis war knapp. Nur wenig mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Delegierten stimmten für die Aufnahme der Verhandlungen.
Martin Schulz versprach der Partei “harte” Nachverhandlungen in drei Themenfeldern: Bei der Flüchtlings-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik. Andres Nahles legte noch deutlicher nach: “Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite.”
Inzwischen liegt der ausgehandelte Koalitionsvertrag vor. Er trägt die Überschrift: “Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.”
Fasst man die Pressestimmen zum Ergebnis zusammen, sollten wir Sozialdemokraten eigentlich hochzufrieden sein. Neben zum Teil deutlichen Zugeständnissen in allen Themenfeldern, haben wir der Union gleich drei Schlüsselressorts abgetrotzt: Das Arbeits-, das Außen- auch das Finanzministerium. Damit war angesichts des historisch schlechten SPD Wahlergebnisses wohl kaum zu rechnen. Auch der Ärger in der CDU zeigt eigentlich, dass die SPD-Spitze erfolgreich verhandelt hat.
Ist das Mitgliedervotum damit schon gelaufen? Die Frage „Sollen wir oder Sollen wir nicht?“ bereits entschieden? Um das herauszufinden, aber auch um eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des Koalitionsvertrages zu ermöglich, hatte der Ortsverein Hiltrup/Berg-Fidel drei Tage nach Verhandlungsschluss am Freitag zum Mitglieder Dialog in die Stadthalle Hiltrup eingeladen.
„Trotz der knappen Vorlauf Frist für die Einladungen sind fast 20 Mitglieder gekommen, ganz junge Neumitglieder, aber auch ältere die wir seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen haben“, zeigte sich Claudia Westermann-Schulz, stellvertretende Ortsvereinsvorsitzende, mit der Resonanz zufrieden.
Dann wurde es wieder eine engagierte und emotionale Debatte mit breiter Beteiligung. Einigkeit herrschte darüber, dass die Partei einen inhaltlichen und personellen Neuanfang braucht. Eine Forderung, die offensichtlich umgehend Gehör fand, denn fast zeitgleich trat Parteichef Martin Schulz zurück, der sich selbst schon für das Amt des Außenministers benannt hatte. Einigkeit bestand auch darüber, dass der Koalitionsvertrag eine deutlich sozialdemokratische Handschrift trägt und man mehr erreicht habe als erwartet.
Aber reicht das aus, um bei der nächsten Wahl wieder deutlich mehr Zustimmung zu erhalten? Oder ist es doch besser, einen harten und deutlicheren Neuanfang aus der Opposition heraus zu starten? Welcher Weg bietet mehr Chancen, welcher ist der Öffentlichkeit überzeugender vermittelbar? Ist es schon zu spät? Wie kann es mit der Partei weitergehen nach einer Entscheidung, die so aufwühlt und so grundsätzlich ist?
Nach zwei Stunden machte laute Karnevals Musik von Nebenan deutlich, dass nun andere Töne die Oberhoheit übernehmen würden. Also Schluss der Debatte! – und Dieter Langer stellte wie schon vor vier Wochen die Frage: „Wer wird beim Mitgliederentscheid dem vorliegenden Koalitionsvertrag zustimmen – und wer nicht?“ Das Hiltruper Ergebnis diesmal: 9 mal Ja und 7 mal Nein.
Hermann Geusendam-Wode