Großes Projekt und kleine Argumente
Die marode Hiltruper Prinzbrücke muss ersetzt werden, und es gibt viele gute Argumente für die Planung, die das Wasser- und Schifffahrtsamt Rheine vorgelegt hat. Vor Allem sorgt diese Planung für Sicherheit: Fußgänger und Radfahrer sollen sich in Zukunft nicht mehr vor den Lastwagen fürchten müssen, die das Gewerbegebiet Nobelstraße anfahren. Die Bezirksvertretung appelliert deshalb in ihrer Resolution vom 14.1.2016 an den Rat, den Weg dafür freizumachen.
Nun hat jede Planung immer auch Gegner. In Hiltrup ist es die Bürgerinitiative “Hiltrup rette deinen Wald”, und wer Bäume auf seine Banner nimmt (an der Prinzbrücke und am Zaun der Firma Freuco), der hat ja schnell Rückenwind. Am Ende sind aber nicht emotionale Bilder und Slogans gefragt, sondern belastbare Argumente.
Die Bürgerinitiative versucht es im Augenblick mit einem Trommelfeuer von Emails an die im Rat vertretenen Parteien. Wir wollen hier versuchen, im Detail auf diese Kampagne einzugehen – in aller Sachlichkeit und in vollem Respekt vor bürgerschaftlichem Engagement.
Da geht es zum einen um das Argument der Folgekosten: die Bürgerinitiative erklärt: “Für die Zukunft wären Unterhaltungskosten für eine nicht notwendige Straße im Haushalt der Stadt Münster zu berücksichtigen.” Das ist richtig und falsch zugleich. Das Abfahrtsohr von der Straße Osttor zur Nobelstraße ist notwendig, es ist die einzig vernünftige Lösung. Und natürlich entstehen Folgekosten: Eine geschenkte Straße – denn die Baukosten trägt der Bund – wird betriebswirtschaftlich mit den Baukosten aktviert und über die Nutzungsdauer abgeschrieben. Gleichzeitig wird ein Sonderposten in gleicher Höhe passiviert und über die Nutzungsdauer ertragswirksam aufgelöst. Die Belastung des Haushalts aus dem Bau der Straße ist somit gleich Null. Für die Folgekosten rechnet die Stadt mit dem im Verkehrsinfrastrukturbericht 2015 genannten Wert der FGSV von 1,13 €/m². Bei einem Querschnitt von 6,50 m sind somit 7,35 € je „laufenden“ Meter Straße anzunehmen.
Auch Kleinvieh macht Mist – aber das ist eine Größenordnung, die man im Ernst nicht wirklich in die Diskussion bringen sollte.
Dann geht es der Bürgerinitiative um gesundes Wohnen. Das ist ein herausragend wichtiges Thema, ganz allgemein und unbestritten. Aber schauen wir es uns doch mal im Detail mit dem Blick auf die Prinzbrücken-Planung an.
Unter der Überschrift “gesundes Wohnen” nennt die Bürgerinitiative hier zunächst den “Blick aus dem Haus auf einen wunderschönen ruhigen Wald”. Gemeint ist offensichtlich die Befürchtung, dass der visuelle Eindruck des Wohnumfelds des Vertreters der Bürgerinitiative bei einer Realisierung der “Variante 5” zum Ersatz der Prinzbrücke beeinträchtigt wird. Für solche Sorgen, die bei fast allen Bauvorhaben auftreten, gibt es bei der SPD großes Verständnis. Ein Zusammenhang mit “gesundem Wohnen” ist allerdings nicht erkennbar.
Die Wohnsituation in der Mitte der Kastanienallee, wo laut Medienberichten die Mehrzahl der Mitglieder der Bürgerinitiative wohnt, wird in erster Linie geprägt durch den Ausblick auf die ca. 100 Meter entfernten großen Gewerbebauten des Landwirtschaftsverlags im Südwesten, im Süden ca. 150 Meter entfernt auf die – von den Planungen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung unberührte – westliche Brückenrampe der Landesstraße und die Brücke über die Bahn und im Osten in maximal 60 Meter Entfernung auf den Bahndamm der stark befahrenen Eisenbahnlinie Münster-Hamm.
Der Bahndamm verläuft in diesem Abschnitt in leichter Hochlage direkt hinter den Wohnhäusern. Von Ihrem Standort aus gesehen direkt hinter dem Bahndamm fällt der Blick auf einen mittelgroßen Gewerbebetrieb (Freuco). Der von der Mitte der Kastanienallee ca. 200 Meter entfernte Wald an der Landesstraße, der für das Abfahrtsohr in Anspruch genommen werden soll, macht in dieser Gesamtschau einen relativ kleinen Abschnitt zwischen Freuco und Landesstraße aus.
Die Sichtschutzfunktion von Wald kann generell für die Befindlichkeit des Menschen relevant sein. Ordnet man die in Hiltrup geplante Baumaßnahme in diesen Zusammenhang ein, dann kann aber kaum von einer solchen optischen Beeinträchtigung gesprochen werden, dass daraus abgeleitet Beeinträchtigungen der Wohngesundheit befürchtet werden müssen. Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung hat im Übrigen angekündigt, die Böschungen nach Abschluss der Baumaßnahme wieder zu bepflanzen.
Als weiteren Aspekt von “gesundem Wohnen” bringt die Bürgerinitiative den Windschutz ins Gespräch, den der Wald den Anliegern der Kastanienallee angeblich bietet. Eine schwerwiegende, im Planungsprozess relevante Beeinträchtigung ihrer Interessen ist hier nur nicht zu erkennen. Ein Zusammenhang mit dem Aspekt “gesundes Wohnen” besteht nicht.
Die Funktion des Waldes als Sauerstofflieferant – ebenfalls als Kontra-Argument vorgetragen – wird durch den Eingriff an dieser Stelle sicher beeinträchtigt. Im Planfeststellungsverfahren ist aber sichergestellt, dass angemessene Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen realisiert werden, die diesen Eingriff ausgleichen.
Mit “Lärmschutz durch Wald” spricht die Bürgerinitiative einen weiteren Aspekt an, der höhere Relevanz für das Thema “gesundes Wohnen an der Kastanienallee” haben könnte und sorgfältige Betrachtung verdient. Diese Funktion von Wald wird allerdings allgemein überschätzt. Abgesehen davon, dass die Lärm dämpfende Wirkung mit dem Blattfall, also in den Wintermonaten stark reduziert ist, muss differenziert werden.
Für den Lärmschutz durch Wald ist der belaubte Teil, also der Kronenbereich relevant. Dementsprechend wird dichten jungen Wäldern eine recht gute Lärmdämmung zugeschrieben. Dieser Effekt verkehrt sich bei altem hohem Wald – wie hier in Hiltrup – in sein Gegenteil: In einem alten Wald mit wenig Unterstand dröhnt ein Geräusch im Waldinnern sehr weit. Das liegt daran, dass der Schall am unteren Bereich der Baumkronen gegen den Boden gebrochen wird und sich nicht gleichmäßig verteilen kann. Der Lärm einer Straße, die durch den Wald führt, wird also in einem solchen Fall auf sehr viel größere Entfernungen als störend empfunden als im freien Gelände.
Bei der Einschätzung des Schallpegels, der von dem von der Planung berührten Straßenabschnitt aus auf die Häuser an der Kastanienallee einwirken kann, sind im Übrigen die physikalischen Gesetze der Schallausbreitung zu beachten: Die Schallpegelabnahme ist mit 6 dB pro Abstandsverdopplung anzusetzen.
Vor diesem Hintergrund und bei der Entfernung von ca. 200 Metern von der Mitte der Kastanienallee zu dem von der Planung berührten Straßenabschnitt kann nicht davon ausgegangen werden, dass der geplante Eingriff zu einer unzumutbaren Lärm-Mehrbelastung führen wird. Dies gilt erst recht, soweit von der Bürgerinitiative die Interessen der Anwohner des Musikerviertels angesprochen sind; der nächstgelegene Randbereich des Musikerviertels ist ca. 300 Meter entfernt von dem von der Planung berührten Straßenabschnitt. Noch nicht berücksichtigt ist dabei der Einfluss des Windes auf die Schallausbreitung. Die in Hiltrup vorherrschende Hauptwindrichtung sorgt tendenziell eher für eine weitere Verminderung des von der Straße aus südöstlicher Richtung auf die Häuser an der Kastanienallee einwirkenden Schalls.
Zu guter Letzt das Stichwort “Motivation”: “Mein Versprechen habe ich meiner Familie gegeben. Ich setze mich für den Erhalt dieses schönen und gesunden Waldes ein. Mein persönlicher Vorteil ist das spielen mit meiner Familie und Freunden im Wald. Ich möchte diesen Vorteil nicht durch eine nicht notwendige Straße verlieren” schreibt der Vertreter der Bürgerinitiative.
In eine Gesamtbetrachtung des Projektes “Ersatz für die marode Prinzbrücke” gehen auch solche persönlichen Interessen ein. Sie als Leser werden auf der anderen Seite zustimmen, dass die Konfliktpunkte zwischen Schwerlastverkehr einerseits und Geh- und Radverkehr andererseits an der alten Prinzbrücke dringend beseitigt werden müssen. Die jetzt von SPD und CDU favorisierte Planungsvariante 5 ist die einzige realistische Möglichkeit, hier für die Zukunft eine Verbesserung, d.h. Sicherheit für die schwächeren Verkehrsteilnehmer zu erreichen. Sie werden sicher nicht von “der Politik” erwarten, dass sie diese Probleme ignoriert und es erst einmal auf einen schweren Unfall ankommen lässt – hier stehen wir gemeinsam in der Verantwortung gegenüber Allen, die diese wichtige Ost-West-Verbindung mit dem Fahrrad oder zu Fuß nutzen. “Es ist ja noch nichts passiert” wäre hier keine gute Devise.