Der Zusammenhalt ist die eigentliche Schicksalsfrage

Sigmar Gabriel über die Aufgaben der sozialen Marktwirtschaft

Es ist Tradition: Wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ans Rednerpult im Bundestag tritt, wird es sehr schnell sehr still im Plenum. Kein Wunder, denn auch mit seiner Rede anlässlich der jetzt anlaufenden Haushaltsberatungen hat Gabriel bewiesen, warum ihm die Aufmerksamkeit der Abgeordneten gewiss ist.

Im Zentrum seiner Ausführungen stand die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Zwar ist die gesamtwirtschaftliche Lage sehr gut, die Arbeitslosigkeit auf einem Tiefststand, die Löhne und Gehälter steigend, die Auftragsbücher voll. Kurz: Die Richtung der Koalition stimmt. Und doch sind viele Menschen verunsichert, ja sogar skeptisch. Diesem Paradoxon trug Gabriel nun Rechnung.

Er verwies zum einen darauf, dass „Leistung wieder Anerkennung“ finde und sich Anstrengung wieder lohne; er erklärte aber auch, was die soziale Marktwirtschaft ausmachen muss. Gabriel: „Soziale Marktwirtschaft ist ein Aufruf für Teilhabe, sie ist ein Versprechen für Wohlstand für alle“.

Die Politik darf „dabei nicht Zuschauer sein, sondern sie muss sich einmischen“ und Regeln setzen, stellte Gabriel klar. Was das bedeutet, erklärte er an dem Beispiel der Steuervermeidungen von multinationalen Großkonzernen wie Apple oder Amazon. „Es geht nicht darum, diese Unternehmen vorzuführen, aber sie dürfen sich nicht aufführen wie Feudalherren“. Die soziale Marktwirtschaft müsse auch in internationale Verhandlungen eingebracht werden.

Solche Aktionen wie Steuerdumping führen nicht zuletzt zu einem Gefühl von Ungerechtigkeit, und das gelte es zwingend zu vermeiden, machte Gabriel deutlich. Eindringlich warb er für einen Ausbau des Solidarpaktes zugunsten der einheimischen Bevölkerung. „Wir müssen in einer Lage, in der wir binnen eines Jahres mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen haben, die Gesellschaft zusammenhalten. Das ist die eigentliche Schicksalsfrage“, sagte Gabriel und mahnte: „Weniger denn je dürfen wir die soziale Stabilität und den inneren Frieden aufs Spiel setzen.“

Die Menschen, die in Deutschland Schutz suchten, hätten Solidarität verdient. „Aber nicht nur die. Konkurrenz am Arbeitsmarkt, am Wohnungsmarkt, Sorgen um die Qualität der Schulen, Sorgen um Kriminalität in schwierigen Stadtteilen – das betrifft vor allem die in Deutschland, die nicht viel Geld haben.“ Das auszusprechen und für einen Zusammenhalt der Gesellschaft zu sorgen, bedeute „nicht, Rechtspopulisten das Wort zu reden“. Es handele sich auch nicht um ein Ausspielen von Flüchtlingen gegen Einheimische. Es bedeute, Menschen ernst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass niemand vergessen werde. „Denn Politik lebt vom aktiven Handeln und nicht von Durchhalteparolen.“ Diese beiden Aufgaben subsumierte Gabriel unter dem Label „doppelte Integration“. Anerkennend lobte er: „Ich kenne kein anderes Land der Erde, das dazu so schnell in der Lage gewesen wäre.“

Und aus diesen Gründen dürfe der Staat nicht handlungsunfähig werden, etwa durch Steuersenkungsversprechen, die am Ende keiner bezahlen könne. Die Menschen, so erklärte es der Vizekanzler, sehnen sich nach einem starken, aber nicht übergriffigen Staat. Auf diese Balance komme es an, denn Sicherheit habe viele Facetten, bis hin zu sozialem Wohnungsbau. Solidarität dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Als weitere Aufgaben nannte Gabriel, die Risiken von abhängig Beschäftigten zu minimieren, Kleine Unternehmen sowie Familien und Alleinerziehende zu entlasten und mehr in Bildung zu investieren. Dazu gehöre die Sanierung der Schulen genauso wie das Vorhaben, die modernste Infrastruktur der Welt zu schaffen. Gabriel: „Der Bund will den Ländern im Bildungsbereich helfen“, aber dann müsse das Kooperationsverbot abgeschafft werden. Es sei „eine Wachstumsbremse“.